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Deister- und Weserzeitung , 26.04.2005 :

Im Versteck die Wehrmachtsgeschichte gepaukt / Von Herbert Weder "umerzogen", bis die Militär-Vita stimmte / Familie verbarg ihren SS-Sohn

Von Ulrike Truchseß

Bad Pyrmont. Zum Kriegsende herrschte Chaos, Irritation und Angst unter Kriegsgefangenen, Flüchtlingen und Soldaten. Jeder kämpfte ums nackte Überleben. Dabei wurden neue Regeln eines weitgefächerten Versteckspiels erlernt, das jetzt dem Schutz der Täter dienen sollte. Viele Soldaten verbrannten mit dem Einzug der Alliierten ihre Uniform und verschwiegen auf den Fragebögen der Alliierten ihre Identität.

Die herausragende Rolle des ehemaligen Offiziers Herbert Weder zu Kriegsende in Bad Pyrmont stellt der Pyrmonter Architekt Prof. Helmut Ringe in den Mittelpunkt seiner Erinnerungen. Der damals Zehnjährige meint: "Die Zivilcourage, die Weder als Lazarettinsasse bewiesen hat, als er in Absprache mit Dr. Glaser mit der weißen Fahne den Amerikanern auf dem Fahrrad in Holzhausen entgegen fuhr, muss sehr groß gewesen sein." Alles was zum 5. April 1945 in den Chroniken von Bad Pyrmont und Holzhausen steht, bestätigt Ringe als Augenzeuge und aus Familiengesprächen.

Sein 1899 geborener Vater Otto Ringe habe als "Standort-Ältester" den Pyrmonter Volkssturm geleitet, sagt Ringe. Dem Bericht von Heinrich Stuckenbrock in der Holzhäuser Chronik ist zu entnehmen, dass Sparkassendirektor Ziervogel und Studienrat Spenz sowie Ludwig Brüggemann jeweils eine Kompanie führten. Demnach baute der Pyrmonter Volkssturm zwar Panzersperren aus Mistwagen, Eggen und Pflügen, zog sich aber beim Einzug der Amerikaner zurück und griff die Panzer nicht an. "Mein Vater kam am Nachmittag des 5. April 1945 in Uniform nach Hause", erinnert sich Helmut Ringe. Er sei durch die Linien der Amerikaner gekommen, ohne aufgegriffen worden zu sein und zum Bomberg gegangen, um sich dort versteckt haltende Volkssturmleute nach Hause zu schicken.

An Herbert Weder, den damals 25- bis 30-jährigen "Friedensbotschafter von Pyrmont", erinnert sich Ringe so genau, weil der Jurist, der später im diplomatischen Dienst des Auswärtigen Amtes unter anderem in Südafrika tätig war, "ein Freund meiner Eltern und meines Bruders Otto war. Ich genoss seine privilegierte Rolle bei den Amerikanern und später bei den Briten. Ich durfte mit ihm im Auto fahren, über den von den Alliierten begrenzten Radius von 50 Kilometern hinaus."

Der ehemalige Ratsherr Ringe (CDU) bezeichnet sich als "Pimpf" zum Kriegsende, der von den Engländern zum Demokraten erzogen worden sei. Nur am Rande seiner abenteuerreichen Kindheit hat er die dramatische "Umerziehung" seines Bruders Otto vom Waffen-SS-Mann zum einfachen Soldaten mitbekommen. Sein Bruder war im Mai 1945 aus einem Kriegsgefangenenlager in Hannover geflohen und hielt sich versteckt vor den Alliierten zu Hause in Pyrmont auf.

Ringe: "Damals kam Herbert Weder kam oft zu uns." Warum, das erfuhr der Pimpf nicht von seinem Vater, sondern eher durch spätere Besuche ehemaliger SS-Kameraden aus der Kompanie seines Bruders in Bad Pyrmont. Wenn Weder kam, dann paukte er mit seinem ein Jahr versteckt gehaltenen Bruder Wehrmachtsgeschichte. "Er hat meinem Bruder klar gemacht, er müsse nicht sagen, dass er bei der SS war." Herbert Weder habe durch seine guten Beziehungen zu den Amerikanern und Briten gewusst, was Otto Ringe der britischen Besatzungsmacht sagen musste, damit seine Militär-Vita als harmloser Soldat "stimmte" und er seinen Entlassungsschein erhalten konnte, sagt Ringe. Herbert Weder strickte Otto Ringe eine neue Wehrmachts-Vita. Otto Ringe trat erst 1946 vor die britische Entlassungsstelle für Soldaten im Kurhotel, nachdem er seine neue Kriegs-Biographie lückenlos runterschnurren konnte. Die Details des Umbaus seiner Identität blieben ein Familiengeheimnis. Darüber schwieg Otto Ringe bis zu seinem Tod im Jahr 2003.

1942 war der damals 17-jährige Otto freiwillig dem Reichsarbeitsdienst und 1944 der SS beigetreten. In der Normandie geriet er in die Invasions-Kämpfe, wurde von dort in den Osten versetzt und begegnete bei Stettin den Russen. Beim Rückzug geriet er in amerikanische Kriegsgefangenschaft und wurde in Hannover interniert, bis er nach Bad Pyrmont flüchten konnte.

Auch die medizinische Untersuchung für den Erhalt des Entlassungsscheins verlief glatt. Zu der üblichen Tätowierung von SS-Mitgliedern (unter der linken Achsel war die Blutgruppe eingebrannt) sollte die Einheit mit Autos hinfahren. Doch das Fahrzeug, in dem Otto Ringe saß, hatte einen Motorschaden und sprang nicht an. So unterblieb während der Rekrutierung für die Normandie für Otto Ringe und einige Kameraden die Tätowierung, berichtet Emma Ringe aus Erzählungen ihres Mannes. "Mein Bruder hat Glück gehabt, dass er diese schweren Kämpfe überlebt hat, er hat überhaupt viel Glück gehabt in seinem Leben", resümiert Helmut Ringe, und Emma Ringe, geborene Stumpenhagen, bestätigt dies kopfnickend.


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