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Gütersloher Volkszeitung / Die Glocke , 25.04.2005 :

Kriegszeugen im Museumsgespräch / Erlebnisse, die nach 60 Jahren nicht loslassen

Gütersloh (heva). Es ist eine Besatzung gewesen, die zweifellos Befreiung genannt werden muss. In der ganz persönlichen Erinnerung war das Kriegsende in Gütersloh aber auch das "Ende eines Abenteuers", eine "Zeit der Angst" und der "schrecklichen Erfahrungen". Im Stadtmuseum erzählten am Freitagabend einige Vertreter jener Generation ihre Erlebnisse, die auch 60 Jahre später kaum noch begreiflich sind. Zwei Stunden waren viel zu wenig für das, was da zu Tage trat.

"Es musste irgendwie gehen." Sechs Jahrzehnte später klingt der Satz aus dem Mund von Dr. Lotte Heller wie ein Blick in die Gedanken der damals noch nicht einmal komplett ausgebildeten Ärztin. Mit dem Anatomie-Atlas neben dem Operationstisch hat sie in den letzten Tagen des Kriegs Arme und Beine amputiert. Am laufenden Band seien damals die Patienten in den Operationssaal des Lazaretts in der Dalkestadt geschoben worden, schildert Lotte Heller, wie sie das Leid des Kriegs hautnah vor Augen hatte. Die Erlebnisse von damals haben die Ärztin nie losgelassen. Noch Jahre später habe sie Alpträume gehabt, berichtet Lotte Heller im voll besetzten Vortragszimmer des Stadtmuseums. "Ob das alles richtig gelaufen ist?", fragt sie sich selbst. Einen, der vielleicht mal unter ihrem Messer lag, hat die Operateurin später getroffen. Mit dem amerikanischen Piloten sei sie inzwischen gut befreundet, sagt die Ärztin. Seine Bomben hätten damals Leid über die Menschen gebracht, das sei ihm bewusst. "Ich habe gehorcht", soll der Mann gesagt haben. Neben der Ärztin, die längst im Ruhestand ist, sitzen rund ein Dutzend Menschen im Stadtmuseum, denen sich "diese Tage damals ins Gedächtnis gebrannt haben".

So wie Otto Walger. Mit 17 saß der junge Eisenbahner in den letzten Monaten der blutigen Schlacht an einer anderen Schaltstelle des Kriegs. Irgendwie war er zu dem Posten gekommen, der sich Luftschutzwarndienst nannte. Mit einem Ohr am Radio, dem anderen am Telefon lauschte er acht Stunden am Tag im Keller des Hauptbahnhofs den Meldungen, die Schrecken verhießen. Waren die Flugzeuge im Anmarsch, rief er Verdunkelung aus - für ein Hauptziel der alliierten Angriffe, die Bahnhöfe zwischen Neubeckum und Brackwede.

Auch Rudolf Herrmann, seit langem akribischer Chronist der Gütersloher Bahngeschichte, erinnert sich noch gut. Zum Beispiel an den amerikanischen Lazarettzug, der eine Woche vor dem Weihnachtsfest 1944 unters Dach der Güterabfertigung fuhr und Verletzte der amerikanischen Ardennenoffensive auslud. "Wir hatten kaum noch etwas zu essen, und die schmissen mit Weißbrot und Zigaretten um sich."

Natürlich, sie alle waren froh, als am 1. April mit dem Einmarsch der Amerikaner in Gütersloh der Krieg für die Dalkestadt beendet war. Doch mit einem Gefühl der Befreiung taten sich die Menschen schwer an dem Tag, als die Hakenkreuzfahnen durch Bettlaken ersetzt wurden, als das entfernte Rasseln der Panzerketten zum furchteinflößenden Dröhnen wurde.

Lucie Göhlsdorf begrub damals ihr eigenes Kriegsbeil: Die Pistole, die sie von ihrem Vater für den Notfall bekommen hatte, verschwand rechtzeitig, bevor die Amerikaner kamen, irgendwo zwischen den Beeten im Garten ... Im Herbst soll es eine weitere Gesprächsrunde im Stadtmuseum geben.


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