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Schaumburger Zeitung , 23.04.2005 :

Sicher ist sicher: Jeder vierte russische Soldat bleibt ohne Waffe / Vortrag über die glorreiche Sowjetarmee in Zeiten dramatischen Wandels

Bückeburg/Minden. "Kann von Russland noch eine Gefahr ausgehen?" Um eine klare Antwort war Dr. Hannes Adomeit von der Stiftung Wissenschaft und Politik Berlin sichtlich verlegen. "Von der russischen Armee derzeit nicht", mit dieser Feststellung kehrte er wieder zu seinem Thema "Der größte Abrüster ist der Rost - Zum Erbe der glorreichen Sowjetarmee" zurück.

Der deutschsprachige Experte für Fragen der russischen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik und der russischen Militärreform zeichnete eher ein düsteres Bild von einer Armee, die einst zu den stärksten Streitkräften der Welt gehörte. Vor der Sektion Minden der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik, mit 130 Zuhörern im Hotel "Bad Minden" vertreten, skizzierte er den beispiellosen Niedergang des Militärs, das der Stolz der Sowjetunion war und nun um seine Anerkennung und Glaubwürdigkeit fürchten muss. Bei derzeit noch 1,2 Millionen Soldaten mit einer Wehrpflicht von 24 Monaten tut sich die Armeeführung schwer, von der Massenarmee mit Atomwaffen Abschied zu nehmen, stehen diese doch im Zentrum russischer Sicherheitsdoktrin. Sie garantiert dem riesigen Land einen Platz unter den Großen der internationalen Politik.

Das Ansehen der Armee ist in der russischen Gesellschaft von einer bemerkenswerten "Schizophrenie", wie Adomeit es nannte, gekennzeichnet: Dem Wissen um den beklagenswerten Zustand der Armee stehen die Klischees von "Ehrendienst" und "patriotischer Verpflichtung" positiv gegenüber. Dennoch wächst die Erkenntnis, dass die Soldaten einen von der demokratischen Gesellschaft isolierten Platz mit eigenen Gesetzmäßigkeiten einnehmen. Dieseäußern sich in Misshandlungen und Erniedrigungen fern jeder Rechtmäßigkeit. Die Wehrpflichtigen, die etwa 80 Prozent ausmachen, unterliegen der so genannten "Großväterherrschaft", einem System der Ausbeutung und Hackordnung, wobei die Neuen den Älteren völlig ausgeliefert sind. Ein Unteroffizierkorps, so wie es die Bundeswehr als Rückgrat der Armee kennt und fördert, gibt es nicht. Offiziere gehen der schlechten Bezahlung wegen lieber einem Zweitjob nach, als sich um die Mannschaften nach Dienst zu kümmern. Durch Betrug und Korruption kaufen sich die Wohlhabenden vom Wehrdienst frei. So sind es vor allem die Vernachlässigten und Armen, die einrücken müssen, häufig schon mit Gewalt und Brutalität aufgewachsen. 21 Prozent dieser jungen Männer haben kaum eine Schulbildung, fünf Prozent eine kriminelle Vergangenheit. Jeder vierte Soldat erhält keine Waffe - aus Sicherheitsgründen.

Die Ausrüstung mit modernen Waffen wird zugunsten des Waffenexportes verzögert, die Abrüstung veralteter Systeme geschieht ohne Rücksicht auf Umwelt und Sicherheit. Exemplarisch stehen dafür die Atom-Uboote in der Region Murmansk, eine tickende Zeitbombe, die nun mit deutscher Technik und europäischem Geld entschärft werden soll.

Hunderte von Offizieren und Soldatenmütter haben im Februar in Moskau gegen den Niedergang der Streitkräfte und die soziale Not vieler Soldaten demonstriert. Mit welchem Ergebnis, will Sektionsleiter Klaus Suchland wissen. Auch hier blieb der Referent eine eindeutige Antwort schuldig.

23./24.04.2005
sz-redaktion@schaumburger-zeitung.de

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