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Lippische Landes-Zeitung , 23.04.2005 :

Recht auf Distanz / Zur Serie "Vertreibung - 60 Jahre Kriegsende"

Für wen war das gut, Herr Kühne? Ist Ihre Serie für uns Betroffene gut und richtig - gut zu lesen, sich zu erinnern und "Ja" zu sagen? Oder ist Ihr Stoff für die Masse der Zeitungsleser gut? Es ist neben der Information auch eine Art Unterhaltung.

Und wir, die Betroffenen? War die Serie wirklich ein Gewinn für uns? Kannten und kennen wir nicht schon (fast) alles, was Sie, Herr Kühne, berichten? Sind es nicht meistens Wiederholungen und Parallelen aus anderen Berichten, Dokumentationen, Filmen usw.?

Neues haben Sie nicht berichtet, jedenfalls nicht für einen Vertriebenen, der das brennende Königsberg sah und den Abstieg menschlicher Lebewesen erlebte. Sie berichten und lassen erzählen laut Ihrer Zeitzeugen - war das alles? Können Sie eigentlich in Worte fassen, was gewesen ist? Nein, das können Sie nicht! Ich auch nicht! Unserer deutschen Sprache fehlen Begriffe und Worte - darum ist es besser, wir schweigen über viele Dinge. Ja, das Schweigen ist manchmal besser als ...

Ihnen als Historiker empfehle ich: Auch die Vergangenheit hat ein Recht, in Ruhe gelassen zu werden. Ja, es gibt ein Recht - gerade und besonders für uns - ein Recht auf Distanz und das "innere Stopp".

Sie fragen warum? Nur ein Beispiel: Wenn Sie in einer Fortsetzung schreiben: "Die Russen kommen, die Russen sind da ... " - dann ist das nur die halbe Wahrheit. Die Leser erfahren, da kam russisches Militär, russische Soldaten. Nicht Russen - tatsächlich kamen asiatische Reiterhorden - zerlumpt, stinkend, besoffen - mit langen Stangen in die Scheunen, die Treppe mit den Pferden hoch - und oben hockte zusammengepfercht die Beute: Flüchtlinge ...

Weiter schreibe ich nicht. Hier fehlt der deutschen Sprache eine Ergänzung. Was ist geblieben? Die Antwort findet jede Frau, jeder Mann in sich selbst. Das letzte Wort - das letzte Wort ist nicht der Hass. Für die Schulen oder für ein Buch mögen Ihre Recherchen gut sein, Herr Kühne - in die Zeitung bitte nicht!

Rudolf Luberg
An der Niedermühle 7
Dörentrup

23./24.04.2005
detmold@lz-online.de

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