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Deister- und Weserzeitung , 20.04.2005 :

"Schreibe ich diese Zeilen einem Toten?" / Aus den Briefen einer Ehefrau an ihren in Russland vermissten Mann / "Dann wäre es wie im Frieden"

Von Bernhard Gelderblom und Wolfhard F. Truchseß

Hameln/Lügde. Seit dem 19. März 1945 schreibt die junge Ehefrau Magda in Lügde Briefe an ihren Mann Josef. Josef ist in den letzten Kriegsmonaten Soldat geworden und an die Ostfront geschickt worden. Seit einigen Wochen hat Magda kein Lebenszeichen ihres Mannes bekommen. Sie vermutet, dass er in russischer Kriegsgefangenschaft ist. Da Magda keine Adresse hat, an die sie ihre Briefe schreiben kann, nutzt sie ein Schreibheft, das sie liebevoll mit gepressten Blumen verziert.

Zwei Jahre lang schreibt Magda. Ihr christlicher Glaube und Gerda und Irmgard, die beiden Kinder, die sie mit Joseph hat, geben ihr täglichen Mut. Schließlich, am 10. März 1947, gibt Magda verzweifelt auf.

In ihrem ersten "Brief" vom 19. März 1945 schreibt die junge Frau aus Lügde:

"Mein lieber Josef!

Diese Zeilen sind nur für Dich. Ich kann Dir ja keine Briefe senden, darum will ich sie hier hinein schreiben. Vielleicht liest Du sie gerne, wenn Du wieder bei uns bist. Ich denke jeden Tag an Dich.

Voriges Jahr hatte ich Dir auch Blumen zum Namenstage gesandt. Du wirst sie wohl nicht mehr erhalten haben. Es war genau der Tag, an dem ich Dich verloren habe. Es wird nicht für immer sein. Einmal wirst Du wiederkommen. Ich weiß es genau. Deine Worte waren immer: `Magda, was auch kommen mag, ich komme wieder. Glaube an mich.` Ja, Josef, ich glaube fest an Dich und diese Deine Worte. Heute habe ich gebeichtet und die hl. Kommunion für Dich aufgeopfert. Etwas Besseres konnte ich Dir nicht schenken zum Namenstage.

Deine Magda."

In ihren Briefen berichtet Magda immer wieder liebevoll von ihrem Glauben und ihren gemeinsamen Gebeten mit den Kindern für den vermissten Ehemann und schreibt: "Drei heilige Messen habe ich auch für Dich lesen lassen, eine in Gütersloh (wo Josefs Mutter lebte, d. Red.) und zwei in Lügde." Sie schreibt von ihrem Alltagsleben, von freudigen und traurigen Familienneuigkeiten: "Du weißt noch gar nicht, dass Dein einziger Bruder, unser lieber Heini, nicht mehr ist", und fügt hinzu: "Lisbeth hat inzwischen geheiratet und nach vier Wochen ihren Mann wieder hergeben müssen. Der Krieg ist so hart."

Vom Kriegsende in Lügde berichtet sie Josef: "Ein paar lumpige SS-Männer wollten hier Widerstand leisten. Eine gute Stunde hat die Beschießung gedauert. Dabei gingen vier Häuser in Flammen auf." Die Amerikaner seien sehr höflich und anständig gewesen. "Ich bin so froh, dass die Amerikaner nun hier sind und uns vom Nationalsozialismus befreien."

Am 20. April 1945 notiert Magda für Josef in ihrem Heft: "Heute hat Adolf Hitler seinen 56. Geburtstag. Aber er gehört Gott sei Dank für uns schon der Vergangenheit an ... Ich muss immer an Deine Worte denken: `England und Amerika sind unsere Rettung.`"

Immer wieder mischt sich in die Beschreibungen der schwierigen Nachkriegszeit die Hoffnung, ihr Josef möge bald heimkehren: "Die Franzosen, Holländer, Belgier usw. sind auf Autos von dem Amerikaner in ihre Heimat gebracht worden. Jetzt wurde hier erzählt, Amerika habe von Russland die deutschen Kriegsgefangenen angefordert. Ich freue mich ungemein. Und warum sollte es nicht wahr sein? Ich traue den Amerikanern alles Gute zu. Josef, wird das eine Wiedersehensfreude sein."

Über die beiden Kinder schreibt sie und ihre Bemühungen, sie gut zu erziehen: "Wenn Du wiederkommst, sollst Du Deine helle Freude an den Beiden haben." Und immer wieder Trauer und Sorge und das Gefühl der Verlassenheit: "Oft, wenn ich mich in meinen Sorgen so recht verlassen fühle, drücke ich mein Gesicht an Dein liebes Bild und weine mich von Herzen aus. Aber sehen darf keiner meine Tränen, besonders Deine liebe Mama nicht. Sonst wird sie ganz mutlos."

Wie viel Kraft muss diese Frau trotz ihrer Verzweiflung gehabt haben, sich immer wieder hinzusetzen und ihre privatesten Gedanken und Gefühle für ihren Josef zu Papier zu bringen. Manchmal sind es längere Abschnitte, die sie an ihn schreibt, manchmal auch nur ein paar Zeilen, wie am 30. Mai 1945: "Es sind schon so viele aus russischer Gefangenschaft entlassen, dann wirst du auch eines Tages kommen. Unsere Trennung war ja auch lange genug. Mein Sehnen nach Dir ist unbeschreiblich groß."

Aber die Nachrichten sind schlecht. Heimkehrer aus dem Krieg berichten Magda, dass man sie in riesige Lager mit zehntausenden Gefangenen gesteckt hatte, in denen es nichts zu essen gab. "Ich habe so viele Sorgen deinetwegen. Sie lassen mich nicht mal des Nachts zur Ruhe kommen. Mit den Kindern bete ich immer, der liebe Gott möge Dich beschützen, dass Du nicht verhungerst und nicht krank wirst. Die Kinder sind so lieb, und ich habe so viel Freude an ihnen, und Du hast gar nichts davon. Wenn ich anfange zu denken, muss ich immer weinen."

Trotz aller Hoffnung, die sich Magda macht, gibt es von ihrem Mann kein Lebenszeichen. Im Juni 1945 schreibt sie ihm: "Es ist ein wunderschöner Sonntag heute. Und wenn Du hier wärst und wir könnten zusammen spazieren gehen, dann wäre es wie im Frieden ... Josef, wo magst Du jetzt wohl sein."

Je länger Magda vergeblich auf Nachrichten wartet, desto größer wird die Verzweiflung und desto kürzer werden die Briefe: "Wenn ich doch nur erst von Dir ein Lebenszeichen hätte. Nur ein winzig kleines, o, ich wäre unendlich froh. Und unsere liebe Mama in Gütersloh finge noch einmal an zu leben.Wenn man selber Kinder hat, kann man erst ermessen, wie schwer es ist, wenn man sie wieder hergeben muss."

Im August 1945 klammert sich Magda an die letzten Fünkchen Hoffnung: "Wenn Du nicht bald kommst, krieg ich graue Haare. Ich habe gar keine Lust mehr zum Schreiben. Man wird auf die Dauer so mutlos. Schuster Wiemann ist auch schon zurück. Er war auch beim Russen." Zwei Suchanzeigen hat sie vergeblich aufgegeben. Aber: "Sämtliche Wahrsager prophezeien, Du kämest wieder. Und ich glaube es auch nicht anders. O Josef wärest Du doch erst hier."

Das letzte Schreiben an ihren Mann ist auf den 10. März 1947 datiert, etwa drei Jahre nachdem ihr Mann an die Ostfront geschickt wurde: "Mein lieber Josef, ich weiß nicht mehr, schreibe ich diese Zeilen einem Toten? Oder lebst Du noch irgendwo auf der Welt?" Eine Antwort hat sie von Josef nie erhalten. Nur die gerichtliche Feststellung, dass er für tot erklärt wurde. Magda hat den Verlust ihres Gatten nie verwunden. Erst spät und auf Drängen ihrer Familie hat sie ein zweites Mal geheiratet. Das Heft, in das sie die Briefe an ihren Mann geschrieben hat, fand sich nach ihrem Tod in ihrem Nachlass.

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