Neue Westfälische ,
02.04.2005 :
Befreiung des Konzentrationslagers Niederhagen vor 60 Jahren / "Es wird sozusagen richtig benutzt" / Der lange Weg zum Mahnmal in Wewelsburg
Von Jutta Steinmetz
Büren-Wewelsburg. 3.900 Menschen waren insgesamt von 1940 bis 1945 in Niederhagen den sadistischen Grausamkeiten der SS-Schergen hilflos ausgeliefert. lm kleinsten selbstständigen Konzentrationslager des 3. Reichs kamen, wie Forscher heute vermuten, mehr als die bislang 1.285 namentlich bekannte Menschen ums Leben. Die Errichtung eines Mahnmals an Ort und Stelle des Grauens ließ jedoch lange auf sich warten. Erst 1998 war es so weit. Die Arbeitsgruppe “Gedenktag 2. April" legte am 53. Jahrestag der Befreiung ein Kiesdreieck aus - ein Provisorium, aus dem sich dann doch recht schnell ein dauerhaftes und auch von der Bevölkerung anerkanntes Mahnmal entwickelt hat.
Eigentlich sei es ein andauernder Prozess gewesen, meint Sonja Büttner, die damals die Arbeitsgruppe ins Leben gerufen hatte, in der Rückschau. Schließlich waren da zunächst schon am 4. Mai 1945 die Bestattung von 15 Leichnamen russischer und polnischer Staatsangehörigen durch amerikanische Soldaten, an der die Bevölkerung von Wewelsburg teilnehmen musste und der mahnende Grabstein, der in den 60er Jahren verschwand; das große von ehemaligen Lagerinsassen errichtete, Holzkreuz, das wohl bis 1959 gegenüber dem ehemaligen Lagertor stand; der Bilderzyklus Josef Glahes, die Erinnerungs-Bemühungen eines Verfolgtenverbandes und schließlich Ende der 70erJahre die Gedenktafel des Paderborner SPD-Abgeordneten Klaus Thüsing, die nach wenigen Tagen bei Nacht und Nebel wieder entfernt wurde. In Wewelsburg rang man hart mit der Erinnerung. "Das waren aber alles Versuche, die von außen kamen", meint Sonja Büttner, selbst Wewelsburgerin. "Vielleicht war das ein Grund der Ablehnung."
Zehn jungeWewelsburger engagieren sich für Gedenktag
Als die junge Frau 1997 im Kreismuseum ein Praktikum absolvierte, kam ihr die Idee, dass man die Diskussion wiederbeleben müsse. Es sollte deutlich werden, dass sich durch die neue Generation die Sicht gewandelt habe. "Wir wollten den 2. April als Gedenktag", erinnert sich die Lehrerin, die in neun Wewelsburgern, alle zwischen 17 und 22 Jahre alt, engagierte Mitstreiter fand.
Zum nächsten Jahrestag der Befreiung sollten Überlebende eingeladen und der Toten gedacht werden. Da sei aber ein Problem gewesen, erinnert sich Sonja Büttner. Man habe nicht einfach ein Gebinde auf die Rasenfläche des ehemaligen Appellplatzes legen wollen. Und so breiteten die jungen Leute ein Dreieck aus Kies auf einer Folie aus - ein provisorisches Mahnmal sozusagen. "Es war die Voraussetzung, dass das sofort wieder abgeräumt werden konnte", erzählt die junge Frau, die aber nicht nur das Erinnern um seiner selbst willen wollte, sondern damit auch ein Stück ihres Heimatortes geändert wissen wollte. Nämlich den Umgang mit der Geschichte in Wewelsburg.
Während der Gedenkveranstaltung am 2. April 1998 seien viele nachdenklich geworden. "Wir haben Friedhöfe, und dort starben 1.285 Menschen und nichts erinnert an sie" - das seien wohl die Gedanken vieler Wewelsburger an diesem Tag gewesen, als sie bei dieser Gedenkfeier 1.285 Bliiten niederlegten.
Das Kiesdreieck blieb schließlich lange liegen - bis zum Februar 2000. "Wir haben Kies nachgefüllt, es gepflegt. Es hat sehr gut funktioniert", berichtet Sonja Büttner. Und auch die Menschen, die in der Nachbarschaft wohnen, hatten ein Auge auf das Provisorium. Die Wewelsburger Vergangenheitsbewältigung war öffentlich geworden. Fernsehsender rückten an. Das Studio Bielefeld des Westdeutschen Fernsehens kürte die zehn jungen Leute zu den "Menschen 1998". Da sei den Politikern klar gewesen, "dass man das nicht mehr abbügeln kann. Das hätten sie sich nicht erlauben können", ist Sonja Buttner überzeugt. Am 2. April 2000 konnte dann schließlich ein dauerhaftes Mahnmal eingeweiht werden - mit mehrheitlicher Zustimmung aus der Politik und der Bevölkerung. "Die Gespräche mit den Überlebenden haben wohl den Ausschlag gegeben", vermutet sie. Und dann kam die Anregung ja auch von den jungen Wewelsburgern, also mitten aus dem Ort selbst. "Wir haben immer wieder betont, dass es nicht um Schuld geht."
"Es hat sich gelohnt", resümiert sie. In Wewelsburg selbst sei das Bemühen der Gruppe, deren Arbeit nun von dem Verein "Gedenktag 2. April in Wewelsburg - Verein wider das Vergessen und für Demokratie" fortgeführt wird, sehr unterschiedlich aufgenommen worden. Es habe viele positive Äußerungen, aber auch viel Kritik gegeben. Viele hätten Angst vor Schuldzuweisungen gehabt und falsch eingeschätzt, wie man mit der Geschichte eines Ortes umgehen soll. "Heute sagen viele, dass sie das Mahnmal ja immer schon wollten", lächelt die junge Frau.
Jetzt ist das steinerne Dreieck, einst in der Bevölkerung wie auch in politischen Gremien heiß umkämpft und viel diskutiert, "richtig integriert" ins Wewelsburger Leben. Die Nachbarn haben immer noch ein wachsames Auge auf den Ort des Erinnerns. "Wahrscheinlich ist deshalb noch nichts passiert", meint Sonja Büttner. Der Schützenverein legt während des Schützenfestes auch für die Toten des KZ Blumen nieder, die Gedenkstunde der Internationalen Jugendfestwoche findet nun nicht mehr im Friedenstal, sondern am Wewelsburger Mahnmal statt. "Es kommt auch vor, dass Besuchergruppen Blumen hinlegen. Es wird sozusagen richtig benutzt", so Sonja Büttner. Und das freut sie und ihre Mitstreiter ganz besonders. Denn "es sollte ja keine Alibi-Funktion haben".
02./03.04.2005
lok-red.paderborn@neue-westfaelische.de
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