Deister- und Weserzeitung ,
19.04.2005 :
In der Heimat fanden sie nur noch die Trümmer vor / Die Befreiung der Zwangsarbeiter als "Displaced Persons" und ihre Heimkehr / Doppelt bestraft in der Sowjetunion
Von Bernhard Gelderblom
Hameln. Mit der Befreiung durch alliierte Truppen wurden die Zwangsarbeiter und ihre Kinder zu Displaced Persons, DPs, Menschen am "falschen Platz". In der Hermannschule, der Jugendherberge, dem Haus Erichstraße 4, dem Stadtkrankenhaus, der Linsingen- und der Scharnhorstkaserne eröffnete die UNRRA Krankenhäuser, in denen die häufig völlig geschwächten Menschen untergebracht und gepflegt wurden. 66 Todesfälle sind aus den Monaten nach der Befreiung für Hameln bezeugt. Noch Jahre nach Kriegsende befanden sich ehemalige Zwangsarbeiter in Krankenhäusern und Sanatorien, um besonders die verbreitete Tuberkulose auszukurieren.
Die Alliierten schätzten, dass allein im "Großdeutschen Reich" 10,3 Millionen DPs lebten, die zu repatriieren waren. Wegen ihrer großen Zahl und der Zerstörung des deutschen Eisenbahnnetzes gestaltete sich ihre Rückführung außerordentlich schwierig und dauerte bis ins Jahr 1947.
Westarbeiter und Italiener kehrten, häufig auf eigene Faust, sehr rasch in ihre Heimat zurück. Die Rückverschickung der aus der Sowjetunion stammenden Ostarbeiter erfolgte ebenfalls bald nach Kriegsende. Bei diesen Menschen gab es große Befürchtungen vor der Heimkehr, weil sie ahnten, dass sie ein bitteres Schicksal treffen würde. Stalin hatte 1942 per Dekret jeden sowjetischen Kriegsgefangenen (und Zwangsarbeiter) zum Vaterlandsverräter oder Kollaborateur erklären lassen. Besonders gegenüber den "Ostarbeitern" ist dieser Vorwurf absurd, waren sie doch fast alle gegen ihren Willen deportiert worden.
Die ehemaligen "Ostarbeiter" wurden an der Grenze in große Lager eingewiesen, in denen sie von Geheimdienstoffizieren registriert und überprüft wurden. Als unbelastet galt in der Regel nur, wer zum Zeitpunkt seiner Verschleppung ins Deutsche Reich jünger als 15 Jahre alt war. Viele Menschen wurden wegen "Feindbegünstigung" verurteilt und kamen in Arbeitslager nach Sibirien. Auch wer in seine Heimat entlassen wurde, war wegen seines Aufenthalts in Deutschland bleibend benachteiligt und in seinem beruflichen Fortkommen behindert. Denn die Zeit in Deutschland bei Bewerbungen um Ausbildungs- oder Arbeitsplätze zu verschweigen, war riskant. Die ehemaligen "Ostarbeiter" waren also durch ein doppelt ungerechtes Schicksal betroffen.
Erst seit 1990, mit dem Ende der Sowjetunion, konnten die Betroffenenüber ihr Leiden als Verschleppte offen reden. Erst Mitte der 1990er Jahre erhielt diese Personengruppe Opferstatus.
Bei den polnischen Staatsbürgern gestaltete sich die Rückkehr sehr langwierig. Viele wollten rasch in die Heimat zurück, mussten jedoch lange auf eine Gelegenheit zum Transport warten, so dass ein Aufenthalt in Hameln bis in das Jahr 1947 nicht selten war. In den großen Komplexen der Scharnhorst- und Linsingenkaserne, die von der Besatzungsmacht für die Polen requiriert worden waren, entwickelte sich ein reges Lagerleben. Schulen entstanden, es wurde Theater gespielt etc.
Angesichts der desolaten Zustände in ihrem Heimatland und auch aus Furcht vor dem Kommunismus blieben von den Polen manche in Deutschland, andere wanderten in die USA oder nach Kanada aus. Aber die große Mehrzahl ging doch in die Heimat zurück. Dort trafen die Menschen oft katastrophale Bedingungen an. Die Städte lagen in Trümmern. Höfe und ganze Dörfer waren zerstört.
Bei den folgenden Texten handelt es sich um Auszüge aus Briefen ehemaliger polnischer Zwangsarbeiter aus den Jahren 2000 bis 2002.
Marianna M., geboren am 8. September 1930 in Lodz, Polen, schreibt: "Am 4. April 1945 vormittags kamen amerikanische Soldaten in Aerzen mit Panzern die Straße entlang. Danach zog ich nach Hameln in eine Villa, die am Waldrand stand. Nach einigen Tagen brachte man mich in Hameln ins Krankenhaus. Ich war sehr krank. Ich hatte verletzte Beine. In den vielen Jahren hatte ich sehr schwer gearbeitet. So war es kein Wunder, dass ich krank wurde. Im Krankenhaus war ich etwa drei Monate, vielleicht mehr, ich weiß es nicht. Ich wurde gut behandelt, bekam auch Gymnastik und Medizin.
Meine Freundin besuchte mich im Krankenhaus und sagte mir, dass wir in die Kaserne in Hameln gebracht würden. Dort war die Sammelstelle für Ausländer. Die Blocks waren mit Städtenamen gekennzeichnet, wie z.B. Lwow, damit jeder Pole seine Stätte findet. Wir bekamen zu essen und anzuziehen. Die Aufsicht hatten die Amerikaner.
Ein polnischer Pfarrer eröffnete eine Schule dort. Etwa 30 Personen meldeten sich. Es waren zwei Lehrer, einer davon war ein Tänzer. Wir fingen an, Theater zu spielen. Wir machten Volkstänze und mussten viel üben. Ab und zu machten wir auch Sketche. Es war eine schöne und angenehme Zeit, verbunden mit viel Lernen.
Ich hatte das Bedürfnis, nach Polen zurückzufahren. Als erste aber kamen Kinder, Ältere und Kranke in Frage. Mir tat es auch Leid, die Schule zu verlassen. So blieb ich bis 1947. Meine Mutter hatte nicht geschrieben, da sie sehr krank war. Sie wollte, dass ich meine Schule hier beende. Sie lebte dann noch zwölfJahre nach meiner Heimkehr."
Monika K., geboren am 9. Februar 1912 in Warschau, berichtet: "Dann kamen die Amerikaner. Wir konnten endlich raus aus unserem Versteck und tief aufatmen. Endlich bekamen wir genug zu essen. Aber diese Esserei hatte schlimme Folgen für unsere ausgehungerten Mägen. Wir bekamen auch neue Kleider zum Anziehen. Ein paar Tage später konnten wir unsere Baracke verlassen und kamen in die Linsingenkaserne. Ich und mein Sohn wohnten in einem eigenen Zimmer. Wir bekamen Lebensmittelkarten.
In der Linsingenkaserne blieben wir nicht lange. Eines Tages kamen Freunde, die wir noch aus Polen kannten, und holten uns ab. Dann fuhren wir los. Das Gut in Haus Harderode war schön. Um das Haus herum war ein großer Park und Garten, bildschön. Gleich habe ich dort eine Schule organisiert. Ich wollte den Kindern polnisch beibringen. Manche von ihnen konnten keinen Satz auf polnisch sprechen. Wir hatten wahnsinniges Heimweh nach Polen und wollten möglichst schnell in unsere Heimat zurück."
Wanda S., geboren 1924 in Polen, schreibt: "Die Amerikaner haben uns befreit. Sie gaben uns zu essen und saubere Kleidung. Man hat uns dann in ein Dorf gebracht, Richtung Bad Pyrmont, den Namen weiß ich nicht mehr. Dort waren die Menschen nicht gut zu uns. Sie beschimpften uns und spuckten auf uns."
Zofia P., geboren 1928 in Warschau, erinnert sich: "Die Rückkehr in die Heimat war erst im Juli 1946 möglich. Meine Mutter bekam per Boten schlechte Nachrichten aus Polen. Ihre Eltern waren erschossen worden, der Bruder war als vermisst gemeldet und der Mann war im Konzentrationslager umgekommen.
Meine Mutter wurde daraufhin schwer herzkrank und aus diesem Grunde konnten wir nicht eher nach Polen zurückfahren. Als wir dann nach Warschau zurückkamen, fanden wir unsere Wohnung ausgebrannt vor."
Kazimierz W., geboren am 12. Februar 1924 in Cielce, Kreis Turek, Wojewodschaft Posen, Polen, schreibt: "Als ich dann doch zurück nach Polen fahren musste, sagte Herr M. (Bauer in Wegensen): `Falls es dir dort schlecht gehen sollte, dann komm zurück. Oder schreibe uns, dann schicken wir dir Pakete.` Ich kam zurück in den Ort, in dem meine Eltern die Landwirtschaft hatten. Nichts habe ich dort angetroffen. Es war gut, dass ich eine Decke mitnahm. Ich habe auf dem Fußboden geschlafen. An Familie M. zu schreiben, hatte ich Angst. Vielleicht hätte mich jemand an die Kommunisten verraten. Bis heute bin ich kein Freund der Kommunisten."
Lesen Sie morgen: Briefe an einen vermissten Ehemann.
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