www.hiergeblieben.de

Bielefelder Tageblatt (BW) / Neue Westfälische , 18.04.2005 :

Durch zwei Pässe selbst ausgebürgert / Große Aufregung unter Deutschtürken / Sitzungssaal im Rathaus wegen Überfüllung geschlossen

Von Regine Kleist

Bielefeld. In Deutschland seit 2000 eingebürgerte Türken mit zwei Pässen sollten bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl im Mai auf den Gang zur Wahlurne verzichten. Sie machen sich sonst strafbar, weil sie sich unbewusst selbst wieder ausgebürgert haben. Die Betroffenen sollten zur Ausländerbehörde hingehen, anzeigen, dass sie zwei Pässe besitzen und sich über ihre sofortige Wiedereinbürgerung beraten lassen. Vielleicht sei es aber nicht ganz falsch, noch ein bis zwei Wochen abzuwarten, ob es dafür weiter vereinfachte Vorschriften gebe.

Diesen Rat erhielten die Besucher einer Informationsveranstaltung des "Verein für ein zeitgemäßes Leben" im großen Sitzungssaal des alten Rathauses. Mit knapp 250 Besuchern hatte die Vereinsvorsitzende Nebahat Pohlreich gerechnet, es kamen jedoch weit mehr. Wegen Überfüllung des Raumes wurden die Türen 20 Minuten nach Beginn der Veranstaltung geschlossen und weitere Interessenten wieder nach Hause geschickt.

Die Aufregung unter den Bielefelder Deutschen türkischer Herkunft ist groß, weil die Verwaltung allen, die in den vergangenen fünf Jahren die Möglichkeit der "erleichterten Einbürgerung" genutzt haben, einen Anhörungsbogen zugeschickt hat. In dem sollen sie angeben, ob sie sich nachträglich wieder einen türkischen Pass besorgt haben. Das hat nämlich seit 1. Januar 2000 automatisch den Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft zur Folge. Den türkischen Pass verschwinden zu lassen oder die türkische Staatsbürgerschaft heimlich erneut aufzugeben, ist illegal und nutzt gar nichts. Es könnte, wenn die deutsche Behörden davon erfahren, sogar Staatenlosigkeit zur Folge haben.

Nach Auskunft von Nebahat Pohlreich hat die Stadt Bielefeld rund 1.800 Anhörungsbögen verschickt - ohne Ansehen der Person auch an anerkannte Asylberechtigte, die sich von der Türkei nicht ausbürgern lassen müssen. Als politisch oder ethnisch Verfolgten dürfe Ihnen nicht zugemutet werden, dafür die türkische Botschaft oder ein türkisches Konsulat zu betreten. Alle anderen Doppelpassinhaber jedoch seien nach deutschem Recht trotz langjährigem hiesigem Lebensmittelpunkt nun wieder türkische Staatsbürger. Darum müssten sie nach derzeitigem Stand für Deutschland zunächst einmal wieder eine Aufenthaltserlaubnis beantragen, die nur befristet erteilt werde. Danach könnten sie dann ihre - kostenpflichtige - Wiedereinbürgerung betreiben; auch mit dem Risiko der Ablehnung.

Als sachkundigen Referenten hatte die Vereinsvorsitzende den Berliner Kenan Kolat eingeladen, Geschäftsführer der Türkischen Gemeinde der Berlin-Brandenburg. Innenminister Otto Schily habe sich bei der Behandlung dieses heißen Themas völlig korrekt verhalten, erklärte der. Ungerecht sei allerdings, dass offensichtlich nur bei den Türken gezielt nach zwei Pässen geforscht werde, nicht aber bei anderen Eingebürgerten, zum Beispiel bei den Aussiedlern und deren Ehepartnern, die nichtdeutscher Herkunft seien.

Nach Abschluss der Veranstaltung waren Nebahat Pohlreich und Kenan Kolat auf dem Rathausflur dicht umlagert, wurden fast erdrückt. Viele Besucher, die ihr persönliches Schicksal und Passproblem nicht vor versammelter Mannschaft ausbreiten wollten, suchten nun nachträglich Rat. Nur unter Einsatz der Ellenbogen gelang es den beiden nur mit Mühe, das Gebäude schließlich zu verlassen.


lok-red.bielefeld@neue-westfaelische.de

zurück