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Bad Oeynhausener Kurier / Neue Westfälische , 18.04.2005 :

Eine deutsche Familie / Wibke Bruhns las in der "Druckerei" aus ihrem Buch "Meines Vaters Land"

Von Elke Niedringhaus-Haasper

Bad Oeynhausen. Am 26. August 1944 wird der Abwehroffizier Georg Klamroth in Plötzensee hingerichtet. Wibke Bruhns, seine jüngste Tochter, ist zu diesem Zeitpunkt sechs Jahre alt. Jahrzehnte später sieht sie zufällig in einer Fernsehdokumentation über den 20. Juli Aufnahmen von ihrem Vater vor Gericht. Der Anblick lässt sie nicht mehr los. Wibke Bruhns macht sich auf die Suche nach dem fremden Vater und gleichzeitig auch nach ihrer eigenen Wurzeln.

Sie taucht ein in die Vergangenheit, sichtet unzählige Bücher, Fotos und Tagebücher. 60 Jahre nach dem Tod ihres Vaters erscheint dessen Biographie: "Meines Vaters Land". Am Freitag war die erste Frau, die 1971 im deutschen Fernsehen Nachrichtensendungen präsentierte, in der Druckerei.

Austauschbar für eine bestimmte Volksschicht

Bereits eine halbe Stunde vor der Lesung herrschte dichtes Gedränge im großen Saal: An die 200 Gäste kamen zur Autorenlesung der früheren Stern Korrespondentin und Kulturchefin des ORB. In den folgenden zwei Stunden erlebten sie eine Geschichtsstunde der besonderen Art: "Die Geschichte meiner Familie ist die Geschichte einer deutschen Familie und als solche austauschbar für eine bestimmte Volksschicht - das Großbürgertum", begann Wibke Bruhns. Und: "Ich bin groß geworden mit der Auffassung, dass III. Reich hätte von 1933 bis 1945 gedauert. Das ist Quatsch. Das alles wurde schon viel länger vorbereitet", sagte die Buchautorin und liefert Belege.

Dort, "wo alles angefangen hat", beginnt auch ihr Buch, das kurz nach seinem Erscheinen im vergangenen Jahr sofort ein Bestseller war. Der zweite, differenzierte Blick auf die unbewältigte Vergangenheit vor 60 Jahren ist für viele Menschen ein Thema. Wibke Bruhns verfolgt die Geschichte ihrer Familie Generation um Generation zurück bis zu den Anfängen um 1500 im Kursächsischen. Und kommt von dort zu den Jahren, die "die Hybris in Deutschland möglich gemacht haben": Die Traditionen während der Regierungszeit Wilhelm II.

Aber "Meines Vaters Land" ist nicht nur eine Annäherung an den unbekannten Vater und ein Stellvertreter-Familienroman, sondern auch eine tragische Familiengeschichte, die Geschichte der zerbrochenen Ehe der Eltern von Wiebke Bruhns. Ein aufwühlendes, sehr persönliches Erlebnis, das auch während der Lesung tiefe Betroffenheit auslöste.

Zwischenmenschliche Details

Wibke Bruhns nähert sich ihrem ambivalenten Vater mit spürbarer Distanz: Statt Vater oder Hans Georg nennt sie ihn im Buch "HG", in der Lesung spricht sie von "dem Vater". Sie untersucht, warum der Kaufmann Georg Klamroth so anfällig für den Nationalsozialismus war, was ihn später hin- und herriss zwischen Ablehnung und Anlehnung. Sie setzt die Puzzlesteine seiner Erkenntnis über die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten zusammen und sie rekonstruiert das missglückte Attentat auf Hitler, für das der junge Schwiegersohn von "HG" die Bombe besorgte. Das sind die spannenden Momente im Buch, sowohl im Buch als auch in der Lesung.

Und am Ende macht sie ihren Frieden mit dem "spätbekehrten" Landesverräter. In den letzten Zeilen ihres Romans schreibt Wibke Bruhns: "Du hast den Blutzoll bezahlt, den ich nicht mehr entrichten muss. Ich habe von dir gelernt, wofür ich mich zu hüten habe. Dafür ist ein Vater da, nicht wahr? Ich danke Dir."

Nicht nur für ihre Sicht auf die nationalsozialistische Vergangenheit, sondern vor allem für die zwischenmenschlichen Details ihrer Familiengeschichte interessierten sich die Gäste in der intensiven Diskussion im Anschluss.


lok-red.oeynhausen@neue-westfaelische.de

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