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Mindener Tageblatt , 16.04.2005 :

Dörfer für Zwangsarbeiter evakuiert / Alliierte suchen Lösungen für Unterbringung befreiter KZ-Häftlinge und Displaced Persons

Minden (mt). Mitte April 1945 wurde noch in vielen Teilen Deutschlands gekämpft. Wenn auch begleitet von Ängsten vor der Zukunft, nahmen viele Menschen in Minden und Umgebung den Durchmarsch der alliierten Truppen und das Ende der Kampfhandlungen in der Region mit Erleichterung auf. Befreit durfte sich vor allem eine Gruppe fühlen: Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge.

Von Jürgen Langenkämper

Mit dem Vordringen von Engländern und Amerikanern zu den großen Konzentrationslagern im Innern Deutschlands - Buchenwald hatten sie am 11. April erreicht, Bergen-Belsen vier Tage später - stießen sie auf die letzten Versuche der Nazis und der SS, Spuren ihres Tuns zu verwischen. Viele der KZ-Insassen hatten nicht nur die Torturen der Zwangsarbeit bei schlechter Ernährung hinter sich, sondern in der Schlussphase des Krieges auch eine Odyssee von Lager zu Lager in wahren Todesmärschen, sobald die Front sich näherte.

An der Porta Westfalica liefen seit Anfang 1944 die Arbeiten für die unterirdische Produktion von Rüstungsgütern mit Häftlingen, überwiegend aus Polen und der Sowjetunion, schreibt der Geschichtsstudent Thomas Lange aus Hille in einer Hausarbeit über "Zwangsarbeit, Konzentrationslager, Rüstungsverlagerung" am Beispiel der Untertageverlagerung in Porta Westfalica. Aber gegen Kriegsende drohte auch Deutschen die Einweisung ins KZ, wenn sie nur die Auflagen zum Luftschutz nicht erfüllt hatten, wie sich die heute 82-jährige Helene Hoffmann erinnert.

Am 1. April 1945, fünf Tage vor der Weserüberquerung durch die Amerikaner, wurden die Lager an der Porta endgültig geräumt. Die Häftlinge wurden zunächst nach Bergen-Belsen transportiert, wo kurze Zeit zuvor die dank ihres Tagebuchs inzwischen weltbekannte Anne Frank, nicht einmal sechzehnjährig, an Typhus gestorben war. Das Lager war so überfüllt, dass die Reise bis nach Mecklenburg weitergehen musste, wo die Häftlinge erst am 2. Mai befreit wurden. Bis dann waren mehr als 2.000 Menschen auf dem Transport oder durch Hunger und Krankheit gestorben, wie Lange recherchiert hat. Weitere regionalgeschichtliche Forschungen zum Thema betreibt er für seine Magisterarbeit an der Uni Hannover.

In den ersten Apriltagen war auch das zwei Jahren bestehende Arbeitserziehungslager (AEL) Lahde aufgelöst worden. Auf ihrem weiteren Vormarsch sahen sich die alliierten Truppen mit Heerscharen befreiter Häftlinge und Zwangsarbeiter konfrontiert. Allein im Bereich des Amtes Windheim zu Lahde hielten sich schon Mitte April 25 000 so genannte "Displaced Persons", kurz DPs auf, beruft sich Buchautor Hermann Kleinebenne ("Die Weserlinie") auf englische Schätzungen.

Um das Voranschreiten der Front und deren Versorgung nicht zu gefährden, mussten die Briten hier wie andernorts, die ausgehungerten Menschen dazu bringen, sich an wenigen Stellen zumindest bis zum Ende der Kampfhandlungen niederzulassen. Da die Weser aufgrund der Brückensperrungen für die Zivilbevölkerung wie eine natürliche Barriere wirkte, sollte dies für die weitere Umgebung Mindens in und um Lahde geschehen. Vom 9. bis 13. April ließen sie Lahde räumen, wie die Historikerin Sonja von Behrens in ihrem jüngst erschienenen Buch "Die Zeit der Polendörfer" auflistet. Bierde musste an nur einem Tag von der deutschen Bevölkerung geräumt werden, damit russische DPs am 19. April 1945 dort einziehen konnten. Am 1. Mai folgte Ilserheide, am 7. Mai Raderhorst, am 15. Mai Preußisch-Frille und Bückeburgisch-Frille, am 20. Mai Wietersheim und schließlich am 30. Mai Päpinghausen sowie Cammer im benachbarten Schaumburgischen.

"Bauernhäuser und landwirtschaftlich genutzte Grundstücke wurden bevorzugt", berichtet von Behren. In der Zeit der höchsten Belegung seien neben dem Fremdarbeiterlager und dem AEL in Lahde 713 Häuser in den neun Ortschaften, vorwiegend mit Osteuropäern, belegt. Die deutsche Bevölkerung versuchte, bei Verwandten in der Umgegend unterzuschlüpfen. Die für alle Beteiligten nicht ganz konfliktfreie Zeit dauerte bis zum September 1949 an, auch dies eine Folgewirkung des Nazi-Krieges.

16./17.04.2005
mt@mt-online.de

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