Deister- und Weserzeitung ,
16.04.2005 :
Diese Bilder gingen dem Vater nie mehr aus dem Kopf / Ausstellung im Einstein-Gymnasium erinnert an das Schicksal der niedersächsischen Sinti und Roma in der Nazi-Zeit
Von Marc Fisser
Hameln. Es war eine Anweisung aus Berlin: "Zigeuner" und "Zigeunermischlinge" seien "in einer Aktion von wenigen Wochen" familienweise in das Konzentrationslager Auschwitz einzuweisen. Erst spät hat sich für Siegfried Franz (53) erschlossen, dass es dieser Befehl war - er ging auf den SS-Führer Heinrich Himmler zurückging -, der seiner und den meisten anderen deutschen Sinti- und Roma-Familien so schweres Leid gefügt hat. "90 Menschen aus meiner engeren Familie sind im Konzentrationslager umgekommen", erklärte der Vertreter des Niedersächsischen Verbandes Deutscher Sinti im Albert-Einstein-Gymnasium, als er die Ausstellung "Aus Niedersachsen nach Auschwitz" eröffnete.
Gezeigt wird auf den Stelltafeln und auf Videos bis Freitag, 29. April, ein oft ausgeblendeter und dadurch vielfach unbekannter Aspekt der Nazi-Gräuel. "Aus einem irrwitzigen Rassenwahn heraus wurden Sinti und Roma von den Nationalsozialisten ausgegrenzt, verfolgt und systematisch ermordet", erinnerte Oberbürgermeister Klaus Arnecke. Es habe mit der Diskriminierung und Entrechtung von Menschen, die in Deutschland ein viele Jahrhunderte altes Heimatrecht besaßen, begonnen - und im Holocaust geendet. Insgesamt, so wird geschätzt, wurden rund 600 Sinti und Roma aus dem Gebiet des heutigen Niedersachsen deportiert, auch aus dem Weserbergland,. Die meisten wurden ermordet oder starben bei elendiger Versorgung an Hunger, Kälte, Krankheiten oder als Sklavenarbeiter.
"Die Ausstellung gibt den Frauen, Männern und Kindern, die dem Völkermord zum Opfer gefallen sind, ein Gesicht", lobte Arnecke. Und das Stadtoberhaupt mahnte: "Wir dürfen nicht tatenlos zuzusehen, wenn wieder versucht wird, von sozialen Problemen in unserer Gesellschaft abzulenken, indem Minderheiten ausgegrenzt und diskriminiertwerden."
In seiner bewegenden Rede schilderte Franz, wie sein Vater oft am Tisch saß und weinte. Erst als der Sohn erwachsen wurde und immer wieder nachfragte, habe er von den schrecklichen Dingen erzählt. Etwa, wie SS-Bewacher im Lager eine kleine Nichte den Eltern entrissen, an die Wand schlugen und sie tottrampelten. Franz betonte aber auch, dass die Ausstellung in der Schule nicht der Anklage diene. Ziel sei es, dass die Untaten und die Opfer nicht vergessen werden "und dass ein Umdenken stattfindet". Die Sinti und Roma wollen "nicht Menschen dritter Klasse sein". Der Sinto beschrieb, wie schwer es für ihn selbst war, im eigenen Land Kontakt zu den Mitmenschen zu bekommen, gegen die tief verwurzelten Vorurteile anzukämpfen. "Ich bin froh, dass wir es geschafft haben, eine kleine Lobby zu bilden und dass uns inzwischen zugehört wird", fügte er an.
Historiker Boris Erchenbrecher berichtete von den Schwierigkeiten, die Ausstellung zu erstellen. Die meisten Unterlagen seien 1945 von der Kriminalpolizei, die für die "Landfahrer" zuständig war, vernichtet worden.
Führungen: Anmeldung unter Tel. 05151 / 202-452.
16./17.04.2005
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