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Deister- und Weserzeitung , 16.04.2005 :

Die Mühen des Alltags unter der Besatzung / Große Probleme bei der Lebensmittelbeschaffung / Die Wohnungsnot wurde immer größer

Von Bernhard Gelderblom

Hameln. Das Kriegsende brachte deutliche Verschlechterungen der Wohnsituation und der Ernährungslage. Die Phase bis zur Währungsreform war insgesamt eine extreme Ausnahmesituation. Im Jahr 1945 lebten die Menschen teilweise noch von Vorräten. Im Jahre 1947 hatte die Ernährungslage angesichts der schlechten Versorgung einen vorher nie erreichten Tiefpunkt erreicht.

Hameln hatte zu dieser Zeit 34.279 Einwohner. Darunter waren knapp 2.500 Evakuierte, vor allem aus dem Ruhrgebiet. Angesichts der Beanspruchung von Wohnraum durch die Alliierten wurde die Wohnungsnot weiter verschärft. 1946 wird sie dann durch die Überfüllung der Stadt durch tausende Flüchtlinge auf einen Höhepunkt gelangen.

Bereits am 9. April wurde seitens der Stadtverwaltung wieder die Ausgabe von Lebensmittelkarten aufgenommen. Doch der Besitz von Lebensmittelkarten bedeutete noch längst nicht eine gesicherte Versorgung.

Hans-Albrecht Centner berichtet: "Das Heranschaffen der Lebensmittel machte große Schwierigkeiten. Da alle Lager und Läden ausgeplündert waren, war es sehr schwer, irgend etwas zu bekommen. Man hatte Marken, hatte Geld, aber konnte nichts bekommen. Und wenn es doch einmal irgend etwas gab, dann sprach sich das schnell herum und es entstanden lange Schlangen. Wenn ein Geschäft Butter zu verkaufen hatte und man ging um 6 Uhr hin, so standen schon die Schlangen über zwei Häuser weg. Man wunderte sich, wo die Geschäfte überhaupt noch Lebensmittel herbekamen."

Doch nicht nur Probleme mit der Lebensmittelversorgung belasteten die Menschen der Stadt. Ebenso schwer wogen die Beschlagnahmungen von Privathäusern, Hotels und Gaststätten für Zwecke der Besatzungsarmee. Im Klütviertel, aber auch im Bereich Goethe- und Schillerstraße wurden teilweise ganze Straßenzüge requiriert. Die Bewohner kamen notdürftig bei Verwandten unter oder mussten sich an die Stadtverwaltung wenden, um irgendwo unterzukommen. Die sehr hohe Zahl an requirierten Häusern und Wohnungen ist darauf zurückzuführen, dass die Besatzungstruppen aufgrund des anfangs rigoros gehandhabten "Non Fraternisation"-Gebots nicht mit Deutschen in einem Hause zusammenwohnen durften.

Charlotte Flemes schreibt in ihrem Buch "Früh, wann die Hähne krähn. Erinnerungen 1945 - 1948": "In dieser Situation erschien Anfang Juli ein Ehepaar R., das sich als Amerikaner vorstellte. Er, der Mister R., war der Leiter der britischen Fahrzeugabteilung. Er sei ein einflussreicher Mann, gab er uns zu verstehen. Wir täten gut daran, ihmfreiwillig das Haus zu zeigen, da er eine Wohnung suche und Räume requirieren müsse. Im ersten Stock sagten ihm drei Räume und das Bad zu ... Marta und ich zogen in zwei nach Osten liegende Gästezimmer. Wir schraken zusammen, als Mister R. drohte: 'Ein schiefer Blick von Ihnen, und Sie sind ganzdraußen! Und damit Sie es wissen, morgen ziehen wir ein, bis dahin muss alles okay sein, haben Sie verstanden?'

Wir waren froh, dass wir überhaupt im Hause wohnen bleiben durften, und machten uns an die Arbeit. Zum Glück hatten wir unten noch ein Badezimmer, das wir zwar wegen des Wassermangels gar nicht richtig benutzen konnten, aber wenigstens konnten wir uns dort waschen.

R.s zogen ein. Lauthals englisch redend und sich zurufend zeigten sie gleich, dass sie jetzt das Sagen hatten. Bald stellte sich heraus, dass 'Madam' aus Schlesien stammte, dass sie nur vorübergehend einige Jahre in Amerika gelebt hatte. Vom Saubermachen hielt sie zu Martas Grimm überhaupt nichts. Einmal im Monat - wenn es hochkam - kippte sie einen Eimer mit kochendem Sodawasser über die schönen Pitchpine-Dielen, scheuerte sie, was das Zeug hielt. Mit der grauschwarzen Brühe wurden dann die Böden aufgewischt. Zu faul, Wasser von der Pumpe zu holen! 'Madam' lag lieber auf dem Sofa, rauchte und las englische Magazine. Marta knirschte mit den Zähnen, und ich hatte mein Tun, sie bei Laune gegen unsere 'Herrschaften' zu halten."

Auch wer sein Haus oder seine Wohnung nicht verlassen musste, hatte häufig große Mühe damit, die Schäden, die Bomben und der Beschuss der Stadt an Dächern und Fenstern hinterlassen hatte, zu beheben. Aus den Aufzeichnungen von Heinrich Kranz: "Am Sonntag, 8. April, hieß es: 'Es werden Pappen zum Schließen der Fensteröffnungen verteilt auf der Molkerei.' Ich fuhr mit dem Handwagen hin, kam aber zu spät, es war bereits der ganze Vorrat verteilt. Wir fuhren nun zum Bahnhof hinaus, in der Hoffnung, dort in der Wehrmannschen Kartonfabrik Pappe bekommen zu können ...

In der Nähe der gesuchten Kartonfabrik standen viele Menschen. Wir traten hinzu, hoffend, dass dort Pappen verteilt würden. Sehr bald aber merkten wir, dass die Leute mit Handwagen Lebensmittel, Bettwäsche, Handtücher u. dergl. wegfuhren. Auf unsere Frage, was dort denn eigentlich verkauft würde, erhielt ich die Antwort: 'Verkauft wird hier nichts, hier wird das Proviantamt der Wehrmacht aufgelöst und alles unentgeltlich verteilt.' Jetzt erst merkte ich, dass hier geplündert wurde, diesmal leider von deutschen Volksgenossen."

Lesen Sie am Montag: Der Weg über die Weser.

16./17.04.2005
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