www.hiergeblieben.de

Deister- und Weserzeitung , 14.04.2005 :

Die ersten Maßnahmen der Alliierten in Hameln / Strenges Ausgangsverbot ab 12 Uhr mittags / Arbeitsteilung zwischen Briten und Amerikanern

Von Bernhard Gelderblom

Hameln. Die Politik der Kriegsallianz aus Amerikanern, Briten und Sowjets war es 1945, Deutschland nachhaltig zu schwächen. Deutschland sollte nie wieder in der Lage sein, die Welt mit Krieg zu überziehen. Deswegen war eine rigorose Entnazifizierung der Bevölkerung, die Bestrafung der Kriegsverbrecher und die Ausschaltung des deutschen Industriepotenzials durch Demontage geplant.

Das Vertrauen der Westalliierten in die Deutschen war minimal. Erst die Zukunft würde zeigen, wie weit mit einer Gesellschaft, die sich auf "Verführung und Gewalt" eingelassen hatte, ein demokratischer Staat zu machen war. Die Alliierten kamen nicht als Befreier, sondern als Besatzer. Es bestand Fraternisierungsverbot.

In einer Anweisung der US-Armeeführung vom 12. April 1945 an ihre Soldaten mit dem Titel "Your Futur Occupation" heißt es:

"Glaube nicht, dass es auch nur einen 'guten' Deutschen in Deutschland gibt.

Glaube nicht, dass es allein die Nazi-Regierung war, welche den Krieg angezettelt hat. Menschen haben die Art von Regierung, die sie wollen und wünschen. Sehr wenige Menschen haben den Nazis Widerstand geleistet. Du wirst ihnen nicht begegnen, weil die Nazis sie längst ausgerottet haben.

Die meisten Gefangenen, die wir machen, streiten ab, Nazis zu sein. Nach dem Kriege wirst Du keinen Deutschen finden, der zugeben würde, ein Nazi zu sein. Sie sind alle 'gute' Deutsche."

Die Amerikaner erwarteten, während der Besatzung auf einen gut organisierten Widerstand der Deutschen zu stoßen und richteten sich auf massive Sabotagetätigkeit von Untergrundgruppen ein. Von dieser Angst sind ihre ersten Maßnahmen geprägt.

In den Erinnerungen Heinrich Spanuths heißt es über die ersten Anordnungen der Militärregierung: "Verordnungen der britischen Militärbehörde überschlagen sich in den nächsten Tagen. Sie erlässt ein Gesetz, in dem das Verstecken deutscher Soldaten unter schwere Strafe gestellt wird, das die Ablieferung sämtlicher Schusswaffen anordnet und jeglichen Waffenbesitz auch für die Zukunft verbietet. Zuwiderhandlungen werden durch britische Militärgerichte aufs strengste geahndet."

Spanuth weiter: "Eine allgemeine Polizeistunde wurde eingeführt, die zunächst für die Zeit von 16 Uhr nachmittags (in den ersten Tagen sogar ab 12 Uhr mittags) jedes Verlassen der Wohnung unter Strafe stellt."

In Hameln kam es in den ersten Monaten zwischen Amerikanern und Briten zu einer Arbeitsteilung. Während die Amerikaner die militärische Sicherung übernahmen, stellten die Briten die Aufsicht über die zivile Verwaltung. Am 6. April traf Major Lynden-Bell zusammen mit sechs Offizieren vor Hameln ein. Lynden-Bell wird in Kürze der erste britische Stadtkommandant Hamelns sein. Der Neuaufbau der Verwaltung sollte an ganz kurzem Zügel und von einem eminenten Sicherheitsbedürfnis begleitet erfolgen. Die Besatzungsmacht war zunächst der entscheidende Gestaltungsfaktor. Sie diktierte Tempo und Richtung des Neuanfangs und legte Rahmenbedingungen fest. Sie entschied, welche gesellschaftlichen und politischen Organisationen es wieder geben durfte. Dabei wollte sie nicht alle Dinge an sich ziehen, sondern sie an deutsche Dienststellen übertragen.

Eine der ersten Aufgaben der Militärregierung nach der Besetzung der Stadt war es, den Wiederaufbau der Verwaltung voranzutreiben. In der "Proklamation Nr. 1 - An das Deutsche Volk" hieß es:

"Alle Beamten sind verpflichtet, bis auf weiteres auf ihren Posten zu verbleiben und alle Befehle und Anordnungen der Militärregierung oder der Alliierten Behörden zu befolgen und auszuführen."

Die Alliierten griffen zunächst auf die vorhandenen Verwaltungskräfte zurück, soweit sie nicht wie OB Schmidt und Bürgermeister Busching geflohen waren. Die Besatzungsmacht nahm deswegen Männer aus der zweiten Reihe, nämlich die Verwaltungsdirektoren Max Röthig und Wilhelm Grote. Zur "Säuberung" der Verwaltung kam es in Hameln erst im Juni, als mit Walter Harm ein Mann Oberbürgermeister wurde, den die Nazis 1933 aus dem Amt gejagt hatten.

Bereits drei Tage nach dem Einmarsch der Amerikaner war die Stadtverwaltung zumindest personell wieder in der Lage, einen ordnungsgemäßen Verwaltungsbetrieb durchzuführen. Die wesentliche Arbeit der Verwaltung bestand zunächst in der Ausführung der Befehle der Militärregierung.

Wilhelm Grote berichtetüber seine Einsetzung zum kommissarischen Oberbürgermeister und die ersten Tage:

"7. April 1945 (Sonnabend)

Früh erschienen die Amerikaner in der Stadt. Um 11.30 Uhr besteht die Möglichkeit, in die Stadt zu kommen. Mein Weg führt mich über die Schiller-, Goethe- und Erichstraße, Kastanienwall zur Deisterstraße. Erst vor dem Hotel 'Monopol' werde ich von den Amerikanern angehalten. Eine Verständigungist unmöglich, da ich kein Englisch kann. Um 12 Uhr bin ich in meiner Wohnung und da diese aufgebrochen war, habe ich sie wieder notdürftig verschlossen. Wie ich vor dem gegenüberliegenden Hause stehe, kam ein amerikanischer Wagen in die Straße gefahren, der mich abholte. Auf dem Wagen befand sich außer dem Amerikaner auch Verwaltungsdirektor Rö thig.

Der US-Major Ackermann lässt mich durch den Dolmetscher fragen, ob ich bereit sei, mich an der Wiederherstellung der Ordnung in der Stadt zu beteiligen. Ich sagte zu und musste nun ebenfalls auf den Wagen steigen. Die Fahrt ging zurück zum Hochzeitshaus. Bei der Ausstellung des Ausweises fragte der Major unvermittelt, warum ich mit der Antwort gezögert hätte. Ich antwortete ihm, dass ich als Parteigenosse den Wehrwolf zu fürchten hätte, trotzdem hätte ich aber zugesagt, da mir das Wohl und Wehe von 30.000 Einwohnern mehr am Herzen läge.

Nach Aushändigung von Ausweis und Binde erhalte ich den Auftrag, bis 15 Uhr 20 Polizeibeamte zu besorgen. Auf der Rückfahrt werde ich an der Erichstraße abgesetzt. Hier werbe ich die ersten Polizeibeamten, und zwar die Herren Thormeyer, Kass und Beermann. Da die Stadt sonst menschenleer ist und ich das größte Vertrauen zu den Feuerwehrleuten habe, gehe ich zu Herrn Karl Witte und bitte ihn, Feuerwehrleute als Polizeibeamte zu stellen und zum Rathaus zu schicken. Um 15 Uhr versammelten wir uns, um das Hochzeitshaus wieder aufzusuchen. Der Zugang wurde uns aber versperrt. Wir sollten am Sonntag, dem 8. April 1945, wiederkommen.

8. April 1945 (Sonntag)

Der Zutritt zum Hochzeitshaus und auch die Umgebung ist wieder abgesperrt. Nachdem ich verschiedene Straßen mit Herrn Röthig besichtigt hatte, ging ich wieder in meine Wohnung zurück. Um 12 Uhr kam eine Ordonnanz, um mich zum Rathaus zu holen: Inzwischen war der englische Kommandant, Major Lynden-Bell, eingetroffen. Dieser teilte mir mit, dass er das Kommando über die Zivilverwaltung in der Stadtübernommen habe. Ich möchte am 9. April 1945 um 8 Uhr zum Rathaus kommen. Bei einer weiteren Aussprache erklärte ich ihm, dass alle Beamten und Angestellten der Stadtverwaltung, soweit sie in Hameln seien, ebenfalls zur Stelle sein würden, auch die von mir angeworbenen Polizeibeamten.

Die ersten Tage nach der Besetzung waren mit Ankleben der Aufrufe und Plakate der Militärregierung ausgefüllt. Vom Kommandanten wurde ich als Stellvertreter des Oberbürgermeisters bestellt und Herr Röthig als mein Vertreter bzw. als Vertreter des Bürgermeisters. Meine vornehmste Aufgabe war, wieder Ordnung herzustellen. Leider wurde von der Bevölkerung sowie besonders von den Ausländern geplündert und die Besitzer von Lebensmittellägern suchten dauernd um Schutz nach. Hilfe konnte ihnen wenig gewährt werden."

Lesen Sie morgen: Plünderungen in Hameln.


redaktion@dewezet.de

zurück