Lippische Landes-Zeitung ,
14.04.2005 :
Die ungesühnte Todeskugel / Einen Tag nach dem Einrücken der Amerikaner in Schötmar wurden zwei Frauen erschossen
Bad Salzuflen (Rei). Am 5. April 1945 war der Krieg für Schötmar bereits einen Tag zu Ende. Am 5. April 1945 starben die hochschwangere Emmy Bröker (25) und die Witwe Lina Kuhfuß (56) in ihrem Wohnhaus an der Lemgoer Straße durch eine einzige Kugel aus einer amerikanischen Maschinenpistole. "Ein Kriegsverbrechen, das nie gesühnt wurde", sagt Stadtarchivar Franz Meyer zu dem Fall, dem er - 60 Jahre nach Kriegsende - als erster akribisch nachgegangen ist.
Die Umstände des ungeheuerlichen Geschehens erläuterte Meyer gestern Abend in der Reihe "Kirchplatz aktuell" der reformierten Gemeinde Schötmar. Demnach waren die US-Streitkräfte am 4. April in Schötmar einmarschiert. Hier wie Tags darauf in Bad Salzuflen fiel kein einziger Schuss, die Wehrmacht war damals sonst wo - aber nicht im Westen Lippes. "Um so verwunderlicher ist, dass ein amerikanischer Soldat in einem Ort, der längst friedlich eingenommen worden ist, herum schießt", so Meyer.
Er stieß über einen mysteriösen Eintrag im Sterberegister des Salzufler Standesamtes (die Listen werden dort seit 1876 penibel geführt und aufbewahrt) auf den Fall. Dort heißt es unter dem Datum vom 6. April 1945 als Todesursache hinter den Namen von Emmy Bröker und Lina Kuhfuß: "Von Amerikanern erschossen." Wie sich dies abgespielt hatte, berichtete 60 Jahre später Zeitzeugin Margarete Gromann (Jahrgang 1924) dem Stadtarchivar: "Ich war gerade mit meinem Fahrrad von der Hindenburgstraße (heute: Schloßstraße) in die Lemgoer Straße eingebogen, als ich in der Nähe von ,König' einen mit zwei Soldaten besetzten Jeep der Amerikaner bemerkte. Das Fahrzeug fuhr mir entgegen. Einer der Soldaten feuerte wahllos mit seiner MP mal nach links, mal nach rechts. Ich hatte Angst, von dem Soldaten getroffen zu werden und warf deshalb auf der Höhe des Funeke-Friedhofes mein Fahrrad an den Straßenrand. Dann rannte ich nach links über einen kleinen Weg hinter das Haus Hörentrup in der Lemgoer Straße 19, wo ich mich auf der Diele des Hauses in Sicherheit brachte. Hier traf ich auf zwei Frauen aus Ehrsen, die zu Fuß unterwegs waren und die sich ebenfalls in Sicherheit gebracht hatten. Zwischendurch war dann der tödliche Schuss gefallen. Es ging alles ganz schnell. Wir gingen zum Flur des Hauses. Da lagen Emmy Bröker und Lina Kuhfuß."
"Warum? Der Krieg ist doch vorbei!"
Emmy Brökers Mutter
Und weiter: "Ich habe noch die Stimme von Frau Osterhage (die Mutter von Emmy Bröker) im Ohr. Sie rief: Meine Emmy! Meine Emmy! Warum? Warum? Der Krieg ist doch vorbei!"
Und es gibt noch eine weitere Zeitzeugin: Else Hiltermeier (Jahrgang 1929), die damals 16 Jahre alte Tochter von August und Paula Hörentrup, befand sich laut Meyer in dem Moment, als der Schuss fiel, auf der Treppe im Flur des Hauses. "Die beiden Frauen", so erinnert sie sich, "befanden sich in der Nähe der offenen Haustür, als der Schuss fiel. Emmy Bröker stürzte sofort rücklings auf die Fliesen. Frau Kuhfuß, die hinter Emmy gestanden hatte, fiel zur Seite an die Wand des Flures und rutschte langsam zu Boden, der sofort über und über mit Blut bedeckt war. Beide Frauen waren wohl sofort tot."
Das Projektil, das beide Frauen getötet hatte, blieb im Rahmen einer Zwischentür im Flur stecken. Zeugin Hiltemeier ist überzeugt, dass der amerikanische Soldat nicht auf die Frauen gezielt hat: "Der hat doch blind geschossen, denn er hat die Frauen gar nicht sehen können. Man erzählte sich damals auch, er müsse wohl betrunken gewesen sein."
Betrunken oder nicht: Der GI hätte für den Schuss vors Kriegsgericht kommen müssen. Allerdings hat Meyer in dem Tagesreport der amerikanischen Truppen für den 5. April 1945 keinerlei Hinweise gefunden. "Möglicherweise hat der Soldat nie erfahren, was er angerichtet hat. Und auch sein Vorgesetzter nicht." Dass kein Angehöriger oder Schötmaraner Bürger bei den Militärs vorstellig wurde, ist für Meyer nachvollziehbar: Besatzung und Kriegsende waren noch ganz frisch, da habe sich womöglich niemand getraut.
Emmy Brökers Mann hat übrigens nie erfahren, dass seine schwangere Frau auf derart tragische Weise umgekommen ist. Der aus Grastrup-Hölsen stammende Herbert Bröker befand sich in russischer Kriegsgefangenschaft und konnte erst im Mai 1946, über ein Jahr nach dem tödlichen Schuss, eine Nachricht nach Schötmar schicken. Zitat auf der Postkarte: "Meine liebe Frau! Endlich komme ich dazu, einige Lebenszeichen von mir hören zu lassen. Mir geht es noch einigermaßen gut! ( ... ) Ich möchte gern fragen, ob mein Kind ein Junge oder ein Mädel ist ... " Kurze Zeit später war auch Herbert Bröker tot - er starb im Lazarett von Kursk an Fleckfieber.
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