Deister- und Weserzeitung ,
13.04.2005 :
"Die Importbräute haben die Familie zu bedienen" / Tausende Frauen aus der Türkei kennen ihre Rechte nicht - ein Gespräch mit Dr. Necla Kelek aus Hamburg
Hameln. Importbräute, die mittels arrangierter Ehen aus der Türkei nach Deutschland kommen, leben oft das Leben moderner Sklavinnen. Tausende sind es, ihr Schicksal bleibt oft unbekannt - Dr. Necla Kelek aus Hamburg, Türkin mit deutschem Pass, berichtet morgen im Hamelner Forum über die Ursachen dieser Form der Freiheitsberaubung. Redakteurin Christa Koch sprach mit ihr.
Dr. Necla Kelek aus Hamburg berät die Landesregierungen von Hamburg und Baden-Württemberg unter anderem darin, wie Zwangsheiraten unter Strafe gestellt werden können. Promoviert hat sie zum Thema "Islam im Alltag".
Dewezet: Frau Kelek, arrangierte Ehen sind auch heute noch das Problem vieler türkischer Mädchen und Frauen. Warum gelingt es nicht, wenigstens die Generation der hier Geborenen davon zu überzeugen, dass der Mensch als Individuum ein Recht auf freie Entscheidung und freie Partnerwahl hat?
Kelek: Im türkisch-muslimischen Kulturkreis und besonders in traditionell nach Stammesriten lebenden Familien gehört der Einzelne nicht sich selbst, sondern der Gemeinschaft. Er hat eine Daseinsschuld gegenüber den Eltern und seiner Familie. Es gibt kein "Ich", sondern nur ein "Wir". Die Freiheitsrechte des einzelnen in der demokratischen Gesellschaft sind nach dieser Auffassung abzulehnen. Weil diese Familien Angst haben, ihre Kinder an die deutsche Gesellschaft zu "verlieren", versuchen sie durch arrangierte Ehen mit Bräuten aus ihrer alten Heimat die Verbindung zur deutschen Gesellschaft gar nicht erst entstehen zu lassen. Es ist ein Akt gegen die Integration oder für die Bewahrung der patriarchalischen Familienstrukturen.
Dewezet: Was ist der Unterschied zwischen arrangierter Ehe und Zwangsehe?
Kelek: Eine Ehe ist im muslimisch-türkischen Kulturkreis ein Vertrag zwischen zwei Familien. Eine Familie beschließt, dass ihr Sohn oder ihre Tochter im heiratsfähigen Alter ist. Dann sucht die Mutter für den Sohn eine Braut aus, empfängt die Familie der Tochter Brautwerber. Meist kennen sich die künftigen Eheleute nicht, oft sind es welche aus dem eigenen Dorf oder der Verwandtschaft. Wehren sich die Kinder nicht gegen die Verbindung, spricht man von einer arrangierten Ehe. Sagt aber beispielsweise die Frau "nein", wird aber trotzdem verheiratet, ist das eine Zwangsheirat. Ein Mädchen aus diesem Kulturkreis wird sich in aller Regel nicht gegen den Willen der Eltern auflehnen, denn sie hat in ihrer Jugend eines gelernt: zu gehorchen und zu dienen. In einigen Gegenden werden sogar bereits Säuglinge für eine Ehe "versprochen".
Dewezet: Wie vielen türkischen Frauen, die zwangsverheiratet sind, gelingt es, sich von ihrem Partner zu trennen - sei es durch Scheidung oder durch Flucht?
Kelek: Je mehr die Frauen ihre Rechte kennen, je mehr sie wissen, dass es eine Alternative zur Zwangsehe gibt, desto mehr werden sich trauen, diesen Schritt zu gehen. Aber noch sind es eher wenige, obwohl auch jetzt schon die Beratungsstellen und Frauenhäuser voll sind.
Dewezet: Was genau ist mit dem Begriff Importbraut gemeint und wie sieht die typische Importbraut aus?
Kelek: Importbräute sind Frauen, die von in Deutschland lebenden Türken in der Türkei geheiratet werden und dann im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland kommen. Es sind meist junge Frauen, zwischen 16 und 20 Jahren, die meist kein Deutsch sprechen und eine niedrige Schulbildung haben. Sie kommen in Deutschland in die Familie des Mannes, die sie nicht kennen und müssen tun, was die Schwiegermutter sagt. Sie hat die Familie zu bedienen und wird schnell ein Kind bekommen, das sie dann so erziehen wird, wie sie selbst erzogen wurde. Ihre Kinder wiederum werden ebenfalls kein Deutsch sprechen, weil die Mutter es auch nicht kann. So sind die Kinder der Migranten aus vierter und fünfter Generation weit von der Integration entfernt.
Dewezet: Wie kann es gelingen, Migrantinnen so viel Selbstbewusstsein beizubringen, dass sie sich nicht mehr klaglos in solche Ehen fügen? Und wie kann man türkische Familien dazu bewegen, die uralten Traditionen aufzugeben?
Kelek: Wir müssen den Einwanderern wie zum Beispiel den Importbräuten helfen, in Deutschland anzukommen. Sie müssen Deutsch lernen können und erfahren, welche Rechte sie haben und was die Demokratie auch von ihnen erwartet. Migranten sind keine Opfer, sondern Mitbürger, die die gleichen Rechte und Pflichten haben. Wir müssen die Integration als gemeinsame Aufgabe begreifen, die nur über Bildung und über ein Miteinander funktioniert.
Dewezet: Immer wieder machen so genannte Ehrenmorde an türkischen Frauen Schlagzeilen. Was bringt beispielsweise einen Bruder dazu, seine Schwester umzubringen? Und sind solche Taten durch den Islam legitimiert?
Kelek: Im muslimischen Kulturkreis ist die Frau "die Ehre der Familie", das heißt, sie ist praktisch der Besitz der Männer. Kontakt zu Männern außerhalb der Familie darf sie nicht haben, oft darf sie sich ihnen nicht einmal zeigen. Diese "Ehre" zu beschützen, ist Aufgabe der Väter und ihrer Brüder - die Männer kontrollieren die Frauen. Wenn sich eine Frau dieser Kontrolle entzieht und die vermeintliche "Ehre" beschmutzt, dann sehen sich die Männer berechtigt, die Frau zu bestrafen. Auch mit dem Tod. Der Islam sagt nichts zum Ehrenmord, aber schafft durch seine Frauen diskriminierenden Vorgaben im Koran und den Hadithen die Voraussetzungen, dass mittelalterlicheTraditionalisten meinen, sich auf ihn berufen zu können.
Dewezet: Was kann, was muss der deutsche Staat dagegen tun, hier bei uns in Deutschland und auch in seinen Beziehungen zur Türkei?
Kelek: Für "Ehrenmord" darf es keinen Kulturrabatt geben. Es sind Schandmorde, und auch die Beihilfe dazu muss bestraft werden. Nicht nur der Täter, sondern auch seine Unterstützer in der Familie gehören auf die Anklagebank. Wir - damit meine ich die deutschen und türkischen Demokraten - müssen die Grundrechte offensiv verteidigen und einfordern, dass auch Migranten sie beachten.
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