WebWecker Bielefeld ,
13.04.2005 :
Gegen das "Flüchtlingsvermeidungsregime"
Etwa 150 Menschen demonstrierten am Samstag in Bielefeld gegen die Zentrale Ausländerbehörde (ZAB). Die gilt ihnen als ein Symbol für "staatlich institutionalisierten Rassismus". Die Polizei hielt sich dezent im Hintergrund, es kam zu keinen Zwischenfällen.
Von Mario A. Sarcletti
Gut 150 Menschen ließen sich am vergangenen Samstag auch von Schmuddelwetter und vereinzelten Schneeflocken nicht davon abhalten, gegen die Zentrale Ausländerbehörde am Stadtholz zu protestieren. An der lautstarken Demonstration durch die belebte Fußgängerzone beteiligten sich auch etwa zwei Dutzend Migranten. Die Mehrheit von ihnen waren Nepalesen, die die antirassistische Demonstration dafür nutzten, auf die Menschenrechtslage in ihrer Heimat aufmerksam zum machen. Dort hatte der König am 1. Februar den Premierminister und die Regierung abgesetzt, Exilnepalesen sprechen von einem königlichen Militärputsch. Seither ist die Pressefreiheit massiv eingeschränkt, Oppositionelle verschwanden.
Bei einer Zwischenkundgebung am Jahnplatz betonte ein Sprecher der Exilnepalesen, dass sein Anliegen sehr viel mit dem eigentlichen Grund der Demonstration zu tun hat. "Noch eine Woche vor dem Putsch wurden 24 Nepalesen in ihre Heimat abgeschoben", berichtet er. Abschiebung ist eine der Aufgaben der ZAB, die als Symbol für "staatlich institutionalisierten Rassismus" im Zentrum der Demonstration stand. Die Passanten in der Fußgängerzone reagierten erstaunlich interessiert auf den Protest. Viele nahmen die Flugblätter entgegen, die auf den Grund der Demonstration hinwiesen. Der Aufforderung per Lautsprecherwagen sich dem Zug anzuschließen kam denn aber doch keiner der Einkäufer nach. "Es geht nicht nur darum die Grenzen Europas zu öffnen, es geht auch um die Grenzen in den Köpfen, deshalb kommt alle mit", hatte ihnen ein Sprecher zugerufen und eine lehrreiche Kundgebung auf dem Jahnplatz versprochen.
Die gab es tatsächlich, ein Redner von "Lebenslaute" appelliert an die Phantasie der Umstehenden. "Stellen Sie sich vor, Sie haben ihre gewohnte Umgebung verlassen", forderte er sie auf, sich in die Lage eines Flüchtlings zu versetzen, der tatsächlich Europas Grenzen überwinden und nach Deutschland gelangen konnte. "So weit schaffen es seit Mitte der 90er Jahre nur wenige Flüchtlinge", erinnerte der Redner die Zuhörer.
Für die, die es geschafft haben, ist die Zentrale Ausländerbehörde die erste Anlaufstelle. "Sie kennen nicht die Gesetze und nicht die Sprache, aber Sie hoffen, dass Ihnen Hilfe gewährt wird", beschrieb der Redner die Situation der Flüchtlinge. "Stattdessen werden Sie fotografiert, Ihre Fingerabdrücke genommen und Sie werden nach Geld und Dokumenten durchsucht. Panik ergreift Sie, Sie merken, Sie sind hier unerwünscht. Sie werden unter Verdacht gestellt, Ihre Angaben werden immer wieder angezweifelt", versetzt der Redner die Umstehenden in die Lage eines Flüchtlings bei der ZAB.
Dass Erstaufnahme und Abschiebung in die Zuständigkeit derselben Behörde fallen, nannte er einen Skandal. "Die MitarbeiterInnen der Erstaufnahme gehen da doch nicht mehr davon aus, dass tatsächliche Fluchtgründe bestehen", beschrieb er die Auswirkungen des Aufgabenpotpourris für die Betroffenen.
Anschließend sprach auf dem Jahnplatz ein Vertreter der Karawane, einer Selbsthilfeorganisation von Flüchtlingen. Er erinnerte daran, dass der Wohlstand der Bundesrepublik auch von Migrantinnen und Migranten mit aufgebaut wurde. "Heute gelten wir als Parasiten, die den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen", kritisierte er den deutschen Konsens. Nicht Migranten hätten aber die Arbeitslosigkeit zu verantworten, sondern "die Politik für die Großkonzerne". Der mit dieser Politik einhergehende Sozialabbau betreffe Deutsche und Migranten gleichermaßen, warnte er davor, dass sich die Betroffenen gegeneinander ausspielen zu lassen. "Gemeinsam sind wir stark", rief der Flüchtlingsaktivist den Demonstranten zu.
Frank Gockel vom Verein "Hilfe für Menschen in Abschiebehaft" erklärte, warum er, der sich doch eigentlich gegen Abschiebehaftanstalten engagiert, an der Demonstration gegen die ZAB teilnimmt: "Man darf die einzelnen Bausteine des Flüchtlingsvermeidungsregimes nicht isoliert betrachten", sagt Gockel. Ohne die ZAB gebe es wahrscheinlich auch keine Abschiebehaft, so seine Vermutung.
So führe die ZAB Abschiebungen aus der Haft durch, von denen immer wieder auch Mitarbeiter profitierten. Gockel berichtete, dass es unter ZAB-Mitarbeitern und Beamten des Bundesgrenzschutzes die Bezeichnung "Sahneflüge" für Abschiebungen in Länder mit touristischem Angebot gebe. Die Anwesenheit der Nepalesen auf der Demonstration nutzte er, um diese "Sahneflüge" am Beispiel von deren ihrer Heimat konkret zu erläutern. Da die Botschaft des Landes schon lange keine Passersatzpapiere mehr ausstelle, würden die für die Abschiebung nötigen Papiere immer wieder in Nepal organisiert. "Da fliegt dann jemand für eine Woche hin", erzählt Frank Gockel. Dann gehe es wieder zurück in die Bundesrepublik, ehe die Beamten mit den Abzuschiebenden erneut nach Nepal fliegen. "Darum, ob die Flüchtlinge den Flughafen lebend verlassen, kümmern sie sich dann nicht mehr", kritisierte Frank Gockel. Stattdessen machten die Beamten einige Tage Urlaub."Und wenn ein Flüchtling genug Geld hat, dann zahlt er auch noch für den Flug der Begleiter", empörte sich Gockel. "Und dieser Urlaub wiederholt sich jedes Vierteljahr", fügte er hinzu.
Auf dem Rückweg zum Bahnhof legte die Demonstration noch einen Stopp am Kesselbrink ein, "einem geschichtsträchtigen Ort", wie ein Redner betonte. Er erinnerte daran, dass an dem Platz noch bis August 2003 die Gaststätte "Postmeister" als Treffpunkt von Rechtsextremen fungierte. "Da haben wir es mit einer Kampagne mit kreativen Aktionen geschafft, dass die dicht gemacht wurde", ruft er den Anwesenden ins Gedächtnis. "Vielleicht wird die Kampagne ZABschaffen ja ähnlich erfolgreich", hofft er. Eine der kreativen Aktionen gegen den Postmeister war eine "Pink & Silver"-Demo. Auch am Samstag vollführten einige der Demonstrantinnen und Demonstranten mit rosa- und silberfarbenen Verkleidung und rosa Puscheln fröhliche Cheerleader Choreographien.
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