Tageblatt für Enger und Spenge / Neue Westfälische ,
13.04.2005 :
Das Klirren der Panzerketten noch heute in den Ohren / Auftakt einer NW-Serie zum 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges / Günter Hemminghaus erinnert sich
Von Klaus Frensing
Spenge/Enger. Am 8.Mai jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa zum 60. Mal. In Ostwestfalen selbst war der Krieg schon einige Wochen vorher vorbei (die NW berichtete). Anfang April hatten amerikanische und britische Truppen den Kreis Herford besetzt. In Enger und in Spenge war der Krieg am 3. April beendet. Der ehemalige Spenger Stadtdirektor Günter Hemminghaus, 1930 in Bünde-Holsen geboren, kann sich noch lebhaft an das damalige Geschehen erinnern. Im Gespräch mit der NW blickt er zurück:
Am 8. Mai 1945 war ich 14 Jahre alt. Ich habe zwar damals im Rundfunk von der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht gehört. Die historische Bedeutung dieses Tages ist mir aber nicht voll bewusst geworden. Dazu gehört sicherlich ein zeitlicher Abstand zu einem solchen Datum.
Im Gedächtnis habe ich vor allem den 3. April 1945. An diesem Tag – es war Dienstag nach Ostern – drangen starke amerikanische Panzerverbände von Westen kommend in den Kreis Herford ein. Sie bewegten sich auf der Straße Osnabrück/Bruchmühlen/Bünde in Richtung Osten. Die dröhnenden Motoren und die klirrenden Ketten habe ich heute noch in den Ohren. Unheimlich!
Einige amerikanische Fahrzeuge machten an diesem Tag von der Ahlener Straße kommend einen "Abstecher" in meine alte Heimatgemeinde Holsen, um ein mit SS-Leuten besetztes Fahrzeug zu verfolgen. Es wurde zwar geschossen, aber niemand wurde getötet oder verwundet. Die deutschen Soldaten wurden gefangen genommen.
Mit diesem 3. April war auch für mich der Krieg und damit die Zeit der Bombenabwürfe, der ständigen Fliegeralarme und der Tieffliegerangriffe zu Ende. Mit viel Glück hatte ich einige Wochen vorher auf einer Fahrt nach Bünde einen solchen Angriff, der einem Eisenbahnzug auf der Strecke Bünde-Ahle galt, überstanden. Auch die Geräusche des zischenden Wasserdampfes der zerstörten Lok habe ich noch heute in den Ohren.
"Schlechter kann es nicht werden, nur besser!"
Die Menschen atmeten damals erleichtert auf. Neue Hoffnung war zu spüren. "Schlechter kann es nicht werden, nur besser", so hieß es damals. Vorbei war auch die Zeit, in der das Abhören von "Feindsendern" schwer bestraft wurde, oft mit dem Tod. Zu Ende war auch die Zeit, in der ich unterschiedlichen politischen und weltanschaulichen Einflüssen ausgesetzt war. In der Schule und im Jungvolk wurde "stramm nationalsozialistisch" erzogen, im Elternhaus aber, das vom Nationalsozialismus nichts wissen wollte, wurde gegengesteuert.
Zurück zum 3. April: Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter, meine Geschwister und ich (mein Vater war als Eisenbahner noch einige Tage vorher in den norddeutschen Raum verpflichtet worden) einige Stunden vor dem Einmarsch der Amerikaner eine weiße Flagge, bestehend aus einem Bettlaken, nach draußen gehängt hatten. Wir holten sie aber schnell wieder herein, als uns Nachbarn sagten, dass deutsche Truppen im Anmarsch seien und alle erschießen würden, die eine weiße Flagge gehisst hätten.
Ich erinnere mich weiter daran, dass vor allem an diesem 3. April mehrere deutsche Soldaten auf der Flucht vor den alliierten Truppen bei uns einkehrten und sich mit Zivilkleidung und Nahrungsmitteln versorgten.
Weiter habe ich in Erinnerung, dass ich einige Wochen vor dem Kriegsende zum Volkssturm gezogen und an der Panzerfaust und am Karabiner ausgebildet worden bin. Ich musste zusammen mit Anderen Straßensperren an der Ahler Elsebrücke errichten, Schützengräben ausheben und – auch nachts inmitten zurückflutender und sich auflösender deutscher Truppenverbände – als Melder zwischen zwei Volkssturmabteilungen fungieren.
"Zuerst ging es nur um ganz hautnahe Bedürfnisse"
Unsere Gruppe war an der Elsebrücke eingesetzt und sollte mit Panzerfäusten und Gewehren den amerikanischen Sherman-Panzern Widerstand leisten. Wir hatten mehr Angst als Vaterlandsliebe. Als wir am Samstag vor Ostern aus Richtung Osnabrück Artilleriedonner hörten und Rauchschwaden aufsteigen sahen, schickte uns unser "Kommandant" nach Hause. Wir waren heilfroh.
Nach diesem 3. April und auch nach dem 8. Mai bestimmten nicht Vokabeln wie "Wiederaufbau" und "demokratischer Neubeginn" das Geschehen. Es ging in diesen Wochen zunächst erst einmal um ganz hautnahe Bedürfnisse, Begebenheiten und Ereignisse. Zum Beispiel um die Rückkehr von Kriegsgefangenen, um die Versorgung von Flüchtlingen und Vertriebenen, um die Plünderung von Geschäften, um die nächtlichen Überfälle von "Fremdarbeitern", um die Verhaftung von ortsbekannten Nationalsozialisten, um die Sicherstellung der Ernährung und um die Sperrstunden.
Jedenfalls habe ich mir an diesem 3. April als 14-Jähriger noch keine Gedanken gemacht, ob dies nun der Tag der Befreiung sei oder der Tag, an dem ich die totale deutsche Niederlage erlebte. Eines wusste ich jedoch: der Krieg war zu Ende und endgültig verloren. Der 8. Mai, der Tag der Kapitulation, war nur noch der Tag, der dieses offiziell bestätigte und nachvollzog.
Zeitzeugen gesucht
Die NW-Lokalredaktion für Enger und Spenge sucht ab sofort weitere Zeitzeugen, die sich noch selbst an das Ende des Zweiten Weltkrieges erinnern können, so wie der ehemalige Spenger Stadtdirektor Günter Hemminghaus. Insbesondere suchen wir Menschen aus Enger und Spenge, die den Untergang des Nationalsozialismus, das Ende des "Tausendjährigen Reiches" hier in diesen beiden kleinen Städten erlebt haben und die im Gespräch mit einem Mitglied der Lokalredaktion darüber berichten möchten.
Interessiert sind wir auch an alten Fotos aus diesen Tagen, die neben den authentischen Erinnerungen die Bedeutung dieses historischen Datums auch für junge Menschen von heute nachvollziehbar machen. Interessenten melden sich bitte umgehend unter Tel. (05224) 990951.
lok-red.enger@neue-westfaelische.de
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