Bad Oeynhausener Kurier / Neue Westfälische ,
12.04.2005 :
"Ich fühlte mich wie neugeboren!" / IKG-Schüler befragen den Zeitzeugen Ferdinand Matuszek zum Kriegsende vor 60 Jahren
Von Nicole Bliesener
Bad Oeynhausen. "Nach 27 Jahren habe ich meine Mutter wieder getroffen", erzählt Ferdinand Matuszek den Schülerinnen und Schülern. Und genauso lange hat der heute 79-Jährige seine Muttersprache Polnisch nicht gesprochen. Die Erinnerungen des Zeitzeugen verschlugen den Schülern des Immanuel-Kant-Gymnasiums gestern die Sprache.
"Die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus gehört zum Stoff der 10. Klasse, erklärt Referendarin Julia Lang. Darüberhinaus machen die Gymnasiasten mit bei der Veranstaltungsreihe "Besiegt, befreit, besetzt - 60 Jahre Kriegsende". Organisiert wird die Reihe vom Stadtarchiv in Kooperation mit der Volkshochschule, der Druckerei, der Stadtbücherei, der Frauen-Geschichtswerkstatt, dem Arbeitskreis für Heimatpflege und dem Mindener Geschichtsverein.
Eine Gruppe von IKG-Schülern wird am Dienstag, 19. April, um 19.30 Uhr in der Druckerei aus Tagebüchern und anderen Quellen lesen. Die Texte hat Stadtarchivar Rico Quaschny zusammengetragen. Den Großteil der Lesung bilden die Tagebuchaufzeichnungen des Studienrates Dr. Helmut Wocke, der im Frühjahr 1945 aus Schlesien nach Bad Oeynhausen geflüchtet war.
Die zweite Veranstaltung, an der Schülerinnen und Schüler des IKG mitwirken ist ein Abend mit Zeitzeugen am Dienstag, 26. April, in der Druckerei. In der Geschichts-AG haben die Zehntklässler Gelegenheit, sich auf diese Veranstaltung vorzubereiten und die Zeitzeugen zu befragen. Gestern Mittag besuchte Ferdinand Matuszek die Klasse.
Er schilderte, wie er 1942 von der SS als 15-Jähriger aus seinem polnischen Heimatdorf nach Deutschland deportiert wurde. Matuszek berichtete den Schülern von der Arbeit auf dem Bauernhof in Rehme, von dem Fliegeralarm, von dem Bombenangriff auf die Weserhütte.
Über manche Geschehnisse will und kann er auch 60 Jahre nach Kriegsende nicht reden. "Dann fang ich an zu weinen", sagt Matuszek. Die Ehrlichkeit beeindruckt die Zehntklässler. Und sie hören gespannt einem Mann zu, der von einem Bad Oeynhausen berichtet, dass sie nur aus Geschichtsbüchern kennen.
Und die Schüler stellen Fragen: "Welche Informationen über den Krieg haben Sie auf dem Bauernhof bekommen?" Und Matuszek antwortet: "Wenig, ausländische Radiosender durften wir nicht hören."
Neugierig, aber mit viel Respekt fragen die Schüler weiter - warum er nach Kriegsende nicht in seine Heimat zurückkehren konnte, ob er seine Familie wiedergefunden hat, aber auch wie oft es in den letzten Kriegswochen Fliegeralarm gegeben hat. Ferdinand Matuszek erzählte von der allgegenwärtigen Gefahr. Von Mitgliedern des Volkssturms, die ihn drangsalierten: "Man lebte ständig in Gefahr - auch nachts". Mit dem Ende des Krieges, sei das alles vorbei gewesen. "Ich fühlte mich wie neugeboren."
Ferdinand Matuszek erinnerte nicht nur. Er forderte die Schülerinnen und Schüler auf: "Ihr sollt dafür sorgen, dass wir nie wieder Krieg haben. Denn der Frieden ist das höchste Gut."
lok-red.oeynhausen@neue-westfaelische.de
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