Deister- und Weserzeitung ,
08.04.2005 :
Die Verluste durch den Beschuss der Stadt / Vermutlich mehr als 100 Tote / Schwere Zerstörungen an Gebäuden / Einnahme unter "ferner liefen"
Von Bernhard Gelderblom und Wolfhard F. Truchseß
Hameln. Mindestens 66 Tote forderte die zweitägige Beschießung Hamelns durch die Amerikaner am 5. und 6. April unter der Zivilbevölkerung und den Soldaten. Dazu kamen viele später verstorbene Schwerverletzte. Insgesamt soll es 104 Bestattungen auf dem Wehl gegeben haben. Auf vier Gräberfeldern liegen Grabplatten für rund 150 zivile Kriegsopfer, die von 1939 bis 1945 in Hameln zu Tode kamen.
Auch die Zerstörungen an Gebäuden durch den zweitägigen Beschuss oder durch eigene Zerstörungsmaßnahmen waren erheblich: Die Straßen- und Eisenbahnbrücke wurden gesprengt, die Werdermühle entweder Opfer des Nero-Befehls zur Zerstörung der eigenen Produktionsanlagen oder zerschossen von US-Panzern, das Rathaus, die Marktkirche, die Gebäude der Osterstraße 41 bis 45 mit den Hotels "Zur Börse" und "Zur Sonne", die Häuser Emmernstraße 7 und 9, die Bauten Münsterkirchhof 5, 6 und 6a, die Baustraße 56, die Große Hofstraße 11, die Wohngebäude Deisterstraße 42 und 44 und viele andere Häuser wurden zum Teil schwer beschädigt. Insgesamt waren es 773 Bauten, die während des Krieges durch Luftangriffe oder den zweitägigen Beschuss zerstört oder schwerstens beschädigt wurden.
Artillerievolltreffer hatten die folgenden Gebäude erhalten: Das Schillergymnasium, die Oberschule für Mädchen, die Volksschulen am Ostertorwall und in der Hermannstraße, die Reichsbank, die Münsterkirche, das Pflege- und Waisenhaus am Langen Wall, die Feuerwache und das Zuchthaus. Die Verluste an Gebäuden durch den Beschuss der Stadt waren erheblich. Mit dem Rathaus und der Marktkirche wurden zwei Gebäude getroffen, die für die Stadtgeschichte und das Stadtbild von besonders hohem Rang waren. Während die Marktkirchengemeinde mit Unterstützung großer Teile der Bürgerschaft ihre Kirche im Jahre 1959 wieder aufbaute, ließ die Stadt ihr barockes Rathaus 1946 abreißen - aus verkehrstechnischen Gründen, wie es damals begründet wurde; ein Verlust, der bis heute schmerzt.
Am 8. April 1945, einen Tag nach der Besetzung Hamelns, veröffentlichte die "New York Times" einen ausführlichen Bericht über die Einnahme der Stadt durch US-Truppen. Der Reporter bezog sich wiederholt auf den Rattenfänger; die Überschrift des Berichtes lautete denn auch: "Hameln again pays pied piper's price" (Hameln bezahlt wiederum den Preis für den Rattenfänger). Hier auszugsweise der Report von John MacCormac in der "New York Times":
"Berühmte deutsche Stadt zerstört und ihre Söhne verloren - ein Ergebnis von Hitlers Sirenengesang. Das 117. Regiment der 30. Infanterie-Division der 9. US-Armee nahm die Stadt Hameln ein. Die Einnahme erfolgte mehr oder weniger nebenbei und verdient nur als unter 'ferner liefen' in den Kriegsberichten erwähnt zu werden ...
Deutschland ist auch einem Rattenfänger gefolgt, der am Ende die Blüte der deutschen Jugend mit sich genommen hat. In diesem Sinne hat sich Geschichte nur wiederholt, als das 117. Infanterie-Regiment Hameln eingenommen hat. Dabei wurde etwa ein Fünftel der ansprechenden Renaissancestadt zerstört.
Für die deutsche Armee oder die Nazis stand fest, dass Hameln verteidigt werden musste. So sprengten sie die Brücken über die Weser in die Luft. ... Da es unmöglich war, Hameln während der letzten Nacht ohne schwere Verluste einzunehmen, belegte die amerikanische Artillerie die Stadt mit schwerem Feuer. Daraufhin konnten das 1. und 3. Bataillon des 117. Regimentes (am 7. April; die Verf.) um 6.30 Uhr eindringen und die Stadt nach dreistündigem Kampf besetzen. Sie nahmen mehr als 1.000 Gefangene.
Um Hameln zu verteidigen, hat die deutsche Armee alles getan, außer die Leichen von den Friedhöfen einzuberufen. Unter den 1.000 Kriegsgefangenen waren trotzige Jugendliche, denen in den USA noch nicht einmal erlaubt worden wäre, eine Spielhalle zu betreten; Großväter, die fähig gewesen sein müssten, sich an Bismarck zu erinnern und Verwundete, die in den neuen Kampf geschickt wurden, während ihre alten Wunden noch tropften ... "
Lesen Sie morgen: Blutjustiz in den letzten Kriegstagen.
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