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Neue Westfälische , 08.04.2005 :

"Eine Ausnahme in der evangelischen Kirche" / Interview: Historiker Hans-Walter Schmuhl

Bielefeld. Dietrich Bonhoeffer war eines der prominentesten Mitglieder der protestantischen Bekennenden Kirche. Der Bielefelder Historiker Hans-Walter Schmuhl hält ihn allerdings nicht für einen ihrer typischen Vertreter. Mit Schmuhl sprach Matthias Gans.

Neue Westfälische: Welche Bedeutung kam der evangelischen Kirche im Nationalsozialismuszu?

Hans-Walter Schmuhl: Die Rolle der evangelischen Kirche ist vor dem Hintergrund des Kirchenkampfes zu sehen. Es war ein Kampf in der Kirche um die Kirche. Dabei standen sich zwei kirchenpolitische Fraktionen gegenüber, die Deutschen Christen und die Bekennende Kirche, die zunächst miteinander um die Ordnung in der Kirche rangen. Der Nationalsozialismus kam nur insoweit ins Spiel, als er auf Seiten der Deutschen Christen massiv eingriff und durch staatliche Intervention die Ordnung der evangelischen Kirche verandern wollte.

NW: Wie verhielt sich die Bekennende Kirche zu dieser Einmischung?

Schmuhl: Die Bekenntniskräfte wehrten sich gegen Einmischungen, sie sahen darin eine Kompetenzüberschreitung des Staates. In der Bekennenden Kirche gab es aber nicht nur Gegner des Nationalsozialismus. Nicht wenige Mitglieder waren Nationalsozialisten. Und andere, die in kritischer Distanz zum Nationalsozialismus standen, teilten aber zum Teil die Ideologie und die Ziele des Nationalsozialismus. Die Bekennende Kirche war primär keine politische Opposition zum NS-Staat.

NW: Welche Belege können Sie für diese These anführen?

Schmuhl: Das zeigt sich etwa in den Debatten um den "Arierparagraphen", der die Beschäftigung von "Nichtariern" im öffentlichen Dienst verbot. Gegen die Anwendung im kirchlichen Bereich hat sich die Bekennende Kirche gewehrt, obwohl es nur eine Hand voll Menschen betraf. Gegen die Anwendung im staatlichen Bereich, die Tausende betraf, gab es so gut wie keine Stellungnahme. Der Staat sollte sich aus kirchlichen Angelegenheiten heraushalten und umgekehrt, so die Meinung der Bekenntniskräfte. Das ist nach dem Krieg verschleiert und die Bekennende Kirche zum Rückgrat des bürgerlichen Widerstands hochstilisiert worden.

NW: In welcher Position sehen Sie dabei Dietrich Bonhoeffer?

Schmuhl: Der große Teil der Bekennenden Kirche hat sich staatskonform verhalten. Nur ein kleiner Teil leistete Fundamentalopposition. Der Name Bonhoeffers ist da mit an erster Stelle zu nennen; er war nach hartem innerem Ringen zusammen mit seinem Schwager Hans von Dohnanyi an Staatsstreichplänen beteiligt. Das war jedoch innerhalb der Bekennenden Kirche eine absolute Minderheitenposition.

NW: Hätte Bonhoeffer den Weg in den Widerstand ohne seine verwandtschaftlichen Kontakte zu bürgerlichen Widerstandskämpfern überhaupt gefunden?

Schmuhl: Das Beziehungsgeflecht, in dem Bonhoeffer stand, schuf eine Art Gelegenheitsstruktur, so dass er tatsächlich auch politisch oppositionell tätig werden konnte. Er war ja in einer anderen Position als ein beliebiger Gemeindepfarrer ohne Kontakte zur Wehrmachtsführung oder zur Ministerialbürokratie. Zudem war Bonhoeffer einer der bedeutendsten Theologen der Bekennenden Kirche. Die Entscheidung, aktiv mitzuwirken, die war schon theologisch begründet und durchdacht.


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