Lippische Landes-Zeitung ,
07.04.2005 :
Wiedersehen mit Baku / Günay Muradova schreibt von ihrem neuen, alten Leben in Aserbeidschan
Baku/Detmold. Seit einem Dreivierteljahr lebt Günay Muradova in Baku, Aserbeidschan. Wie in der LZ berichtet, musste die damals 19-Jährige im vergangenen Juni nach vierjährigem Aufenthalt in Detmold und abgelehnten Asylanträgen dorthin zurückkehren. Die junge Frau, die Journalistin werden will, sollte für die LZ aus ihrer ursprünglichen Heimat berichten. Jetzt erreichte die Redaktion die zweite e-mail mit Beschreibungen ihres Lebens.
Mein Alltag hier in Baku verläuft monoton. Nach meiner Rückkehr war es zunächst einmal spannend, einige Plätze wieder zu sehen, spazieren zu gehen. Aber das hatte bald ein Ende, da Baku eine ziemlich kleine und auch langweilige Stadt ist. Vielleicht sollte ich nicht zu sehr derartige Details beschreiben, sondern einmal ganz kurz das Schulwesen in Aserbaidschan erklären.
Hier sind die Schulen nach russischen und aserbaidschanischen Sektoren aufgeteilt, in denen dann der gesamte Unterricht in der jeweiligen Sprache abgehalten wird. Eine normale, zum Abitur führende Schule hat elf Jahrgänge. Am Ende steht die Abitur-Prüfung in fünf oder sechs Fächern an. Das gesamte Abschlussjahr verläuft für die Schüler hier sehr anstrengend, denn sie lernen nicht nur für die Abiturprüfungen, sondern auch für die schweren Aufnahmeprüfungen an den Universitäten. Diese Aufnahmeprüfungen bedeuten für uns eine riesige Nervenbelastung, die zuweilen dazu führt, dass einige Prüflinge schon mal in Ohnmacht fallen. Mir ist das selbst vor zwei Monaten passiert.
Die Mädchen müssen aufräumen
Damit könnte ich wieder zurück zu meinem Alltag kommen. Mein Tag beginnt gewöhnlich um 7 Uhr. Die Schule beginnt um 8 Uhr. Nach der Schule, gegen 13 Uhr, geht es nach Hause - es sei denn, dass wir für den Abischerz üben. Der russische Sektor erleichtert mir das Schulleben einigermaßen, denn er ist noch meistens modern für die Verhältnisse in Aserbaidschan. Die Schulbedingungen an meiner Schule sind jedoch - verglichen mit Detmolder Verhältnissen - nicht gerade begeisternd: Fast das ganze erste Halbjahr hatten wir kein Licht in der Schule, und eine Heizung bekamen wir erst später.
Mein Alltag schließt auch die ewigen Frauendiskriminierungsthemen mit ein, die in meinen Gedanken den Tag über stets erhalten bleiben. Diskriminierung ist sicherlich ein schweres Wort, trotzdem würde ich es für die hiesigen Schulverhältnisse verwenden. In Deutschland war es zum Beispiel normal, dass die ganzen Klassenaufräumungsarbeiten zwischen den Mädchen und Jungen geteilt wurden. Hier müssen das Aufräumen meistens die Mädchen erledigen, und das Schrauben und Bohren nur die Jungs. Für die Tatsache, dass ich mit 20 Jahren nicht kochen kann, ernte ich ziemlich seltsame Blicke. Ich versuche dennoch, meistens so zu sein, wie ich bin. Und das gefällt leider nicht jedem hier: meinen Eltern nicht, manchmal den Lehrern nicht.
An Sonntagen jobbe ich an einer sprachorientierten Schule für alle Altersgruppen. Mein Fach ist Englisch. Ich leite die so genannten Conversationclubs, in denen zwischen sechs und 15 Teilnehmer sitzen.
Dabei erlebe ich besonders die aserbaidschanische Mentalität im Umgang mit Menschen- und Frauenrechten. Es ist interessant, dass sich die Menschen mehr in der Lage fühlen, mit mir über solche Themen in den Conversationclubs zu reden, als normalerweise in der Schule, Uni oder auch bei der Arbeit. Unter meinen Kollegen gibt es einige, die ein oder zwei Jahre in USA verbracht und dort ihre Englischkenntnisse verbessert haben, aber es besteht trotzdem eine gewisse Distanz. Meine Art lässt mich für sie offenbar eigenartig erscheinen. In Deutschland war das nicht der Fall.
In der Freizeit wird in Aserbaidschan generell nicht viel an den Abenden unternommen. Normale Diskotheken werden nicht von jungen Frauen und Mädchen, die was von sich halten, besucht. Und die Eltern erlauben es auch nicht. "Gute", also entsprechend besuchbare Diskotheken, kosten viel Eintritt, den sich ein normaler Mensch nicht leisten kann. Anders als in Deutschland - wie vieles.
detmold@lz-online.de
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