Paderborner Kreiszeitung / Neue Westfälische ,
05.04.2005 :
Die Geschichte des Häftlings 44624 / Ehemaliger KZ-Insasse aus Niederhagen schildert den Elsener Schülern seinen Leidensweg
Von Ulrich Grotewold
Paderborn-Elsen. Mühsam und immer wieder Inne haltend erzählte gestern Wladimir Perfilow den knapp 50 anwesenden Zehntklässlern der Elsener Gesamtschule von den qualvollsten drei Jahren seines Lebens. Nur zwei Tage nachdem er als Zeitzeuge der Gedenkveranstaltung zur Befreiung des Konzentrationslagers Niederhagen beigewohnt hatte, nutzte Perfilow nun die Begegnung in der Schulaula, um detailliert von der eigenen Leidensgeschichte als KZ-Häftling zu berichten.
Schon vor der offiziellen Begrüßung des heute 80-Jährigen, der 1943 im Lager Niederhagen interniert war, zeigte sich der didaktische Leiter Heinz Dobler von dem russischen Besucher beeindruckt. "Diese Begegnung bietet die Chance, aus erster Hand zu erfahren, mit welchen Gefühlen ein ehemaliger Lagerinsasse sechs Jahrzehnte nach der Befreiung an diesen Ort zurückkehrt", erklärte der Lehrer.
In Begleitung von Ehefrau Walentina und unterstützt von Dolmetscherin Julia Kazakowa schilderte Perfilow den mit seiner Verschleppung 1942 begonnenen Weg eines Gefangenen.
Als Zwangsarbeiter sei er anfangs in einem Wuppertaler Betrieb ausgebeutet worden, ehe ihm die Flucht aus der schwarz-weiß-gestreiften Kleidung und den hölzernen Schuhen glückte. Nach nur einem Monat auf freiem Fuß wurde der damals 17-jährige von der "Geheimen Staatspolizei" aufgegriffen und nach Niederhagen deportiert.
"Teilweise mussten wir morgens mehrere Stunden auf dem Apellplatz ausharren während der Lagerkommandant laut die Listen der dort am Vortag getöteten Insassen verlas. Wer nachts mit verdecktem Kopf schlief, lief Gefahr, von den SS-Männern erschlagen zu werden", beantwortete Perfilow die Frage eines Schülers nach dem Tagesablauf im hiesigen Lager.
Wegen seiner "guten" körperlichen Verfassung habe man ihn im März 1943 nach Dachau verlegt. Vom dortigen KZ aus wurden er und seine Mitgefangenen täglich per Zug zum Entschärfen von Bomben ausgesendet. Einen Luftangriff habe er nur überlebt, weil er unter einem Waggon Deckung fand, erklärte der in Niederhagen als Häftling 44624 registrierte Perfilow.
Mit umfangreichen Ergänzungen zum Umfeld der Konzentrationslager verdeutlichte Referendar Dr. Andreas Neuwöhner den Schülern der Klassen 10B und 10D unter anderem, dass neben der Zivilbevölkerung auch viele KZ-Häftlinge den alliierten Luftangriffen zum Opfer fielen, da ihre Barracken häufig nahe der Industriestandorte lagen.
Die gestrige Begegnung mit den Zehntklässlern der Gesamtschule war auch auf Initiative von Neuwöhner, der noch vor kurzem für das Kreismuseum Wewelsburg recherchiert hatte, zustande gekommen.
Auf ihren Besucher, der zu den sechs letzten noch lebenden "Ehemaligen" des KZs Niederhagen gehört, waren die jungen Elsener gut vorbereitet.
"Schließlich wird in unseren "Integrativen Klassen" die Toleranz zwischen behinderten und nicht-behinderten Kindern täglich gelebt", verwies Heinz Dobler auf die selbstverständliche alltägliche Gemeinschaft mit Minderheiten.
lok-red.paderborn@neue-westfaelische.de
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