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Dewezet , 02.04.2005 :

Pyrmonter Quäker halfen Juden und politisch Verfolgten / Die couragierte Mary Friedrich rettete während der Nazizeit etwa 60 Menschen vor dem sicheren Tod

Von Ulrike Truchseß

Bad Pyrmont. Die Quäker, die religiöse Gesellschaft der Freunde, eine freie liberale Religionsgemeinschaft haben ihren Deutschlandsitz mit entsprechenden Jahrestagungen in Bad Pyrmont. Auch, wenn die Gemeinschaft in der Kurstadt derzeit nur sieben Mitglieder zählt, die sich einmal wöchentlich zur Andacht treffen, blickt sie auf eine außerordentliche Haltung während der Nazizeit zurück. Zeugnis davon legt Brenda Bailey in ihrem Buch "Ein Quäker-Ehepaar in Nazi-Deutschland" ab (book on demand). Die Tochter von Leonard und Mary Friedrich wertet darin die Tagebuchaufzeichnungen ihrer Mutter aus, worin der Leser sehr detailliert über die weltweiten Aktivitäten der Quäker zum Schutz politisch und rassisch Verfolgter während der Nazizeit erfährt. Darin sind auch die Namen all der Juden oder Halbjuden verzeichnet, denen Mary Friedrich von Pyrmont aus auch 1939 noch Flucht und Exil ermöglicht hat.

Trotz der religionsfeindlichen Haltung der Nazis wurden ab 1933 die Jahresversammlungen der deutschen Quäker im neu errichteten Quäkerhaus in der Bombergallee in Pyrmont abgehalten - etwa 150 bis 200 Quäker kamen dazu in die Kurstadt. Über das Jahr 1938 heißt es in dem Buch: "Bad Pyrmont, mit 8.000 Einwohnern, begrüßte und würdigte die Jahrestagung der Quäker besonders herzlich, weil die Besucher dem Geschäftsleben Auftrieb geben." Die Aufgaben von Mary und Leonhard Friedrich wuchsen mit der Verlegung eines Erholungshauses für politisch und rassisch verfolgte Opfer aus Konzentrationslagern aus Falkenstein im Taunus nach Bad Pyrmont. Das von amerikanischen Nonnen unter Elsie Howard geleitete Josephshaus wurde das neue "Rest-Home" für politisch Verfolgte. Als Amerikanerinnen standen sie weniger unter dem Druck der sonst allgegenwärtigen Nazi-Kontrolle. Das Erholungsheim wurde fünf Jahre lang bis 1939 im Frühjahr und Herbst betrieben. Es gewährte insgesamt 800 Menschen Asyl, darunter auch dem Sozialdemokraten Ernst Reuter, der zwei Mal in Konzentrationslagern inhaftiert war und Anfang 1935 im Rest-Home in Bad Pyrmont Erholung fand, bevor er mit Hilfe der Quäker nach London ins Exil ging. 1948 wurde Fritz Reuter Oberbürgermeister von Berlin. 1936 nahm erstmals Otto Buchinger senior an einer Tagung der Pyrmonter Quäker teil. Er hatte seine Diätklinik von Witzenhausen nach Bad Pyrmont verlegt. Im Sommer '37 gelang es Mary Friedrich, den Sohn Buchingers, der mit der Halbjüdin Elsbeth Cohens verheiratet war, als Deutschlehrer an ein britisches Quäker-Internat zu vermitteln.

Sie selbst protestierte 1937 beim nationalsozialistischen Bürgermeister Zuchold gegen ein antisemitisches Plakat, das am Anschlagbrett vor dem kleinen jüdischen Friedhof neben dem Quäkerhaus hing. Der alte jüdische Friedhof an der Bombergallee war - vorgeblich zum Schutz der Pyrmonter Quellen - bereits im August 1934 geschlossen worden. Im Tausch für das 1.250 Quadratmeter große Gelände wurde der jüdischen Gemeinde ohne weitere Entschädigung das 400 Quadratmeter große Gründstück "Am Helsen" angeboten. In der Pogromnacht am 9. November 1938 wurden beide Friedhöfe geschändet und eingeebnet. Dank der Initiative der Arbeitsgruppe "Jüdischer Friedhof" erfolgte 1996/97 die Wiederherstellung des alten Friedhofs mit 79 von ehemals 200 Grabsteinen.

Ein Projekt am Humboldt-Gymnasium in Begleitung des Historikers Jürgen Lehmann zeichnete im Juni 2004 die Spuren der jüdischen Mitbürger aus Bad Pyrmont nach und gab einen kleinen Stadtführer heraus. Das Heft "Menschen wie du und ich" ist im Gymnasium zu erwerben.

Am 29. Mai 1942 wurde Leonard Friedrich von der Gestapo festgenommen und verhaftet, er kam ins KZ Buchenwald. Von da an war Mary auf sich gestellt, ihre Tochter lebte bereits in England und ging dort in die Quäkerschule in Sidcot.

Am 10. Januar 1945 wurde das Quäkerhaus von der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt beschlagnahmt. "Der Polizeioberinspektor Wenger kam, um mir zu sagen, dass die Hamelner NSV das Quäkerhaus als Altenpflegeheim benutzen würde. Die Schlüssel sollten an Frau Bäder, die Vertreterin der NSV, übergeben werden. Wenger war sehr unfreundlich. ... Zwei Tage später entschuldigte er sich fast und gab mir Dokumente Leonhards wieder."

02./03.04.2005
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