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Neue Westfälische , 01.04.2005 :

Als das Schweigen brach / Vor zehn Jahren erzählten Zeitzeugen in Bonenburg zum ersten Mal vom Krieg in ihrem Dorf

Bonenburg (sw). "Sie konnten früher nicht darüber reden, denn die Wunden waren noch zu frisch und wer geredet hat, dem wollte niemand hören", erinnert sich Anni Heiduk an die Gespräche mit den Bonenburger Augenzeugen des Zweiten Weltkriegs zurück. Genau vor zehn Jahren in der Osterzeit wurde das Schweigen gebrochen: "Sie haben erzählt und geweint."

Denn zumeist waren es Frauen, die in Bonenburg und als Bonenburgerinnen den Krieg in ihrem Dorf erleiden mussten. Viermal wurde das Dorf überrannt, das letzte Mal fast vier Wochen vor dem offiziellen Kriegsende, nämlich am 1. April 1945. "Ab elf Uhr des zweiten Ostertages wurde nicht mehr geschossen", zitiert Ortsvorsteher und Mitherausgeber Dieter Figge aus den Beiträgen zur Geschichte Bonenburgs, "und das Dorf ging in amerikanische Hand über. Diese Nacht forderte in Bonenburg elf Ziviltote."

Über das "Schicksal Bonenburgs zum Ende des 2. Weltkriegs - Die Kämpfe an den Ostertagen des Jahres 1945", so der Titel der 1995 zunächst als lose Blattsammlung und im Jahr 2002 in gebundener Form herausgegebenen Buches, haben Anni Heiduk, Dieter Figge und Annelene Wagemann 22 Augenzeugen von damals berichten lassen. Den Redefluss hatte Anni Heiduk nicht absichtlich provoziert, erklärt sie , sondern als " damalige Vorsitzende der Frauengemeinschaft Bonenburg hatte ich mit den Frauen gemeinsam gefrühstückt, als das Misereor-Thema von einst zur Sprache kam: 50 Jahre Kriegsende".

Der Sprung zur eigenen Biografie sei dann fließend gewesen. Nach einem halben Jahrhundert sei es dann das erste Mal gewesen, dass das Unsagbare in Worte gefasst worden sei.

Und Anni Heiduk, Mitarbeiterin im Jugendhaus Hardehausen, spürte die Einmaligkeit dieser Situation und informierte Dieter Figge: "Und sofort war uns klar: Das müssen wir festhalten!" Mit Diktiergerät, Stift und Block ausgestattet fixierten die beiden berufenen Chronisten, wie der gedankliche Zeitsprung in die letzten Kriegstage vollzogen wurde.

"Entweder waren die Ereignisse noch ganz nah oder wirklich weit weg", schildert Heiduk die unterschiedliche Erzählweise und dadurch auch die varriierenden Erzählungen der Zeitzeugen. Aber diese Vielfalt der Berichte bekamen gerade durch deren Variationen einen besonderen Realitätsgehalt. "Wir haben ganz bewusst bestimmte Vorkommnisse mehrfach in dem Buch aufgenommen", erklärt die 55-jährige Bonenburgerin, "denn es betont, dass es wirklich geschehen ist, aber dass es jeder anders erlebt hat."

Innerhalb einer Woche hatten Figge und Heiduk fast drei Viertel des Stoffes beisammen, mitunter hatten die Augenzeugen selbst zum Stift gegriffen und "natürlich wollten wir den 'O-Ton' erhalten", unterstreicht Figge sein Anliegen, die Authentizität der Berichte zu erhalten, schließlich kamen nicht nur die Erwachsenen von einst zur Wort, sondern es wurde auch "über den Krieg aus Kinderaugen" berichtet - und selbst zwei in die Kampfhandlungen involvierte Soldaten gaben ihre Impressionen zu Papier.

"Sie waren stolz", resümierte Heiduk, als die Augenzeugen schließlich einen Teil ihr Lebensgeschichte Schwarz auf Weiß in den Händen hielten. Schließlich sei das Projekt weit über das blanke Erinnern hinausgegangen. "Endlich verstehe ich meine Schwiegermutter", hatte eine Frau der passionierten Chronisten anvertraut, "all’ die schlaflosen Nächte - was für ein Druck des Totschweigens muss auf ihr gelastet haben."

Solche Reaktionen sind es, die die Herausgeber in ihrer Arbeit bestätigen. "Und es ist notwendig zu erinnern", insistiert Heiduk, "auch nach 60 Jahren. Krieg ist nicht nur im Fernsehen, sondern auch hier an unseren Ort hatten Menschen große Todesangst - und noch immer herrscht zu jeder Stunde des Tages irgendwo Krieg auf dieser Welt."

In dem Sinne versteht sich Anni Heiduk als Friedensmahnerin, denn "es ist dringend notwendig, dafür zu danken, dass wir in Deutschland seit 60 Jahren Frieden haben."


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