Westfälisches Volksblatt ,
01.04.2005 :
Im Graben weinten Kinder / Delbrücker erinnert sich: Kriegsgefecht vor 60 Jahren
Von Silvia Scheideler
Delbrück (WV). "Wir hatten Todesangst", erinnert sich Hans Freise. Heute, am 1. April, ist es 60 Jahre her. Der damals 12-jährige Junge verkroch sich mit seinen sechs Geschwistern und Eltern in einem Entwässerungsgraben hinter Pappel- und Eichenbäumen, um den amerikanischen Angriff im Sudhäger Bruch zu überleben.
"Um die Mittagszeit hörten wir das nahende Kanonendonnern und Maschinengewehre. Amerikanische Panzereinheiten rückten von Lippstadt immer näher", berichtet Freise und schaut dabei auf das Schwarz-Weiß-Bild von seinem Elternhaus.
Es war der Ostersonntag. Gegen 14 Uhr kam es im Bereich des Cappeler Grabens und am Boker Kanal in der Mühlenheide und im Sudhäger Bruch zu offenen Gefechten zwischen SS-Soldaten und amerikanischen Panzereinheiten.
Dabei war der Schauplatz wohl vom Schicksal bestimmt: "An der Straßengabelung in Mettinghausen hatte sich der Führer der deutschen Nachhutpanzer, der eigentlich die Marschroute Mantinghausen-Boke-Neuhaus einnehmen wollte, geirrt. Seine Panzer rollten direkt in Richtung Mühlenheide." Schließlich habe ein amerikanisches Artilleriebeobachtungsflugzeug die deutschen Panzer entdeckt. Zur Eskalation kam es "am Sandloch" an der Lippstädter Straße. "Häuser und Stallungen wurden beschossen und brannten bis auf den Grund nieder", berichtet der heute 72-Jährige von den Ereignissen. Die neunköpfige Familie Freise flüchteten in den Graben. "Dort wurde das Getöse immer heftiger. Maschinengewehrkugeln und Panzergeschosse krachten und zischten durch die Luft, dicht an uns vorbei. Die Kinder, die in der Deckung lagen fingen an, zu weinen. Die Erwachsenen beteten", beschreibt Hans Freise das Szenario.
Nach drei Stunden Gefecht seien deutsche SS-Soldaten mit Maschinenpistolen und Karabinern bewaffnet am Haus vorbeigezogen. Sie waren auf der Flucht vor den Amerikanern in Richtung Delbrück. "Weil wir eine weiße Flagge gehisst hatten, herrschte der Anführer der Truppe uns barsch an, die Fahne zu entfernen. Er drohte uns sogar mit seinem Maschinengewehr. Schnell haben wir die Flagge abgenommen", erzählt der Delbrücker. Zur Ruhe konnten die Bewohner des Sudhäger Bruchs erst kommen, als die Gefechte am frühen Morgen des zweiten Ostertages verstummten. Die Geschwister und Eltern des penionierten Rektors der Westenholzer Grundschule überlebten das Gefecht unbeschadet. Ein 14-jähriger Sohn einer benachbarten Familie starb am Ostermontag. Vier deutsche Panzer waren in der Mühlenheide zurückgelassen worden. Beim Hantieren mit einer Panzerfaust verunglückte der Junge.
Freise ist sich sicher, dass Delbrück zu einem weiteren Kriegsschauplatz geworden wäre: "Hätte man die gewaltige Panzersperre aus Holzbalken bei der Bäckerei Austerschmidt in Delbrück nicht in letzter Sekunde geöffnet."
redaktion@westfaelisches-volksblatt.de
|