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Westfälisches Volksblatt , 01.04.2005 :

Kriegsende in Paderborn / WV-Serie Folge 9 / Vater lebte im Versteck - die Kinder hielten dicht / Paula Reinhardt: Befreiung in großer Angst erlebt

Paderborn (WV). Am 1. April 1945 war in Paderborn der Krieg vorbei. Die Ostfront war schon Monate vorher zusammengebrochen, und viele deutsche Soldaten hatten die Flucht in die Heimat riskiert. Auch der Vater von Paula Reinhardt, geb. Voss aus Elsen kam zwei Tage vor dem Einmarsch der Amerikaner als Deserteur heim.

"Am Karfreitag ging ich durch unser Gässchen in Richtung der Ostallee, um ein Backblech für den Osterkuchen, das sich meine Mutter in der Nachbarschaft ausgeliehen hatte, zurückzubringen", erinnert sich die heute in Bad Lippspringe wohnende Zeitzeugin an den Moment des Wiedersehens. "Da kam mir plötzlich ein Mann auf dem Fahrrad entgegen, der mir merkwürdig bekannt vorkam. Mein Vater! In dem Augenblick, als ich ihn erkannte, stieß ich einen lauten Freudenschrei aus und ließ das Backblech zu Boden fallen. Mein Vater sprang vom Fahrrad ab und drückte mich fest an seine Brust. Eine Uniform trug er nicht - so wie sonst, wenn er auf Fronturlaub kam."

Als Zehnjährige konnte die Tochter nicht ahnen, wie gefährlich für ihren Vater die Rückkehr war. "Wie schön, dass du endlich wieder zu Hause bist!", rief sie. "Jetzt kannst du uns wenigstens verteidigen helfen. Draußen vor dem Bienenhaus haben sich schon zwei Männer mit ihren Panzerfästen eingebuddelt. Warum hast du denn kein Gewehr bei dir?" Paulas Vater bekam einen Heidenschreck. "Um Himmels Willen, die dürfen mich auf gar keinen Fall sehen! Nimm mein Fahrrad und schiebe es hinter das Haus. Dann gehst du durch die Waschküche herein, um mir leise die Haustür zu öffnen."

"Mein Gott, jetzt haben wir auch noch einen Deserteur im Haus", jammerte Tante Gertrud, als sie ihrem Bruder im Hausflur begegnete. Doch dann nahm sie ihn in die Arme und Tränen flossen ihr über die Wangen.

"Wir mussen hier sofort weg", sagte mein Vater, und brachte uns zunächst in die Nachbarschaft. Am nächsten Tag sind wir in der Dunkelheit mit Fahrrädern in Richtung Sande aufgebrochen und haben den Ostersonntag in Sande verlebt. "Wir Kinder haben den Tag mit Ostereiersuchen und Spielen verbracht und hörten dann plötzlich die amerikanischen Panzer über die Lippebrücke rollen. Das hörte sich schon sehr gespenstisch an", erinnert sich die gebürtige Elsenerin.

"Mein Vater ist dann eines Nachts auf Schleichwegen wieder nach Elsen geradelt und hat sich umgeschaut. Unsere 'Verteidiger' waren natürlich weg. Und so holte uns Vater am nächsten Tag zurück. Er selbst musste sich im Haus weiterhin versteckt halten. Wir wohnten zum Glück am Ortsrand. So war die Gefahr, dass ihn viele Leute sahen, gering. Und auf die Nachbarn konnte man sich im allgemeinen verlassen."

Stephan Voss "drückte" sich auch vor dem Aufruf der Besatzer, sich an der Sammelstelle einzufinden, wo alle Männer des Dorfes sich zu melden hatten. "Jetzt bin ich so weit von der Ostfront aus geflohen, ich stelle mich nicht!", betonte er immer wieder. "Für etwa zwei Monate durfte er sich nicht aus dem Haus trauen", so Tochter Paula. "Dann wurde es ruhiger. Wenn man nicht auffällig war, kümmerten sich die Briten nicht um die Leute. Und auch aus der Nachbarschaft hatte man nichts zu befürchten."

(Notiert von Manfred Stienecke)


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