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Deister- und Weserzeitung , 31.03.2005 :

"Wer die weiße Fahne hisst, ist des Todes" / Die Weser als Verteidigungslinie: NSDAP-Gauleiter wollte den Widerstand bis zum Äußersten

Von Bernhard Gelderblom

Hameln. "Lieber tot als Sklav!" - das ist die Parole der Nazis in der Endphase des Krieges. So auch in Hameln. Am Ostersonnabend - es ist der 31. März 1945 - kommt NSDAP-Gauleiter Hartmann Lauterbacher aus Hannover zu einer Besprechung in die Weserstadt. Geladen waren die vor Ort politisch und militärisch Verantwortlichen, darunter der Oberbürgermeister, der Stadtkommandant und die heimischen Parteigrößen. Lauterbachers Linie ist klar. Er will die Weser zur Verteidigungslinie erklären. Hier soll dem Feinde, dessen Panzerspitzen inzwischen bei Paderborn stehen, "unerbittlich" Halt geboten werden.

Viele Details und Vorgänge aus den letzten Kriegstagen in Hameln sind bisher ungeklärt. Mit bisher unbekanntem Archivmaterial aus Großbritannien soll hier die Frage beleuchtet werden, wer für den sinnlosen und wahnwitzigen Befehl, Hameln gegen die US-Truppen zu verteidigen, verantwortlich zu machen ist. Über den Verlauf der Besprechung mit Lauterbacher gibt es keine Aufzeichnungen, wohl aber Gerüchte. Der Oberbürgermeister und der Stadtkommandant sollen sich für die kampflose Übergabe der Stadt ausgesprochen haben. Die Parteifunktionäre hätten dagegen, so heißt es, für "Widerstand bis zum Äußersten" plädiert. Lauterbacher erlässt schließlich die folgenden Befehle:

Die Stadt soll äußersten Widerstand leisten. "Wer die weiße Fahne hisst, ist des Todes."

Die Wehrmacht erhält den Befehl, die Weserbrücken zu sprengen. Sie wird dabei von der Partei kontrolliert.

Panzersperren sind zu errichten und mit Volkssturm zu besetzen.

Alle Gefangenen des Hamelner Zuchthauses, die eine Gefahr für die Öffentlichkeit darstellten, unter ihnen die ausländischen Häftlinge, sind vor dem Feind in Sicherheit zu bringen oder, wenn das nicht möglich ist, "unschädlich" zu machen. Unter allen Umständen sei zu verhindern, dass die "Schwerverbrecher" in Freiheit kämen.

Im Falle der Einnahme der Stadt durch den Feind sollen sich Parteifunktionäre überrollen lassen und als Werwölfe weiterkämpfen.

Auf die vakante Position eines Kreisleiters setzt Lauterbacher Josef Krämer ein; er ernennt ihn zum Verteidigungskommissar. Bei diesem Mann liegt damit die höchste Befehlsgewalt in der Stadt. Krämer, vorher Stadthauptmann von Krakau, ist in Hameln neu und mit dieser Aufgabe völlig überfordert. Auf seinen Befehl wird die Stadt nun in Verteidigungsbereitschaft versetzt. Pioniere bauen Sprengladungen in die Brücken ein. Der Volkssturm errichtet Panzersperren. Am 3. April, dem Dienstag nach Ostern, unternimmt Lauterbacher eine Inspek tionsreise längs der "Weserfront". In Hameln erneuert er seinen Befehl, äußersten Widerstand zu leisten. Am nächsten Tag wird die Bevölkerung über die bevorstehenden Brückensprengungen informiert. Eine Abordnung von Bürgern protestiert vergeblich. Am 5. April werden früh am Morgen die Münster- und die Eisenbahnbrücke durch deutsche Hand zerstört - der Beschuss der Stadt durch die Amerikaner beginnt. Er wird zahlreiche Opfer vor allem unter der Zivilbevölkerung und größere Zerstörungen bringen.

Militärisch war der Befehl zur Verteidigung der Stadt sinnlos. Es waren ein paar Kompanien Infanterie vorhanden: zirka 500 Mann mit einigen Maschinengewehren und Granatwerfern. Jeder Soldat soll etwa 20 Schuss Munition zur Verfügung gehabt haben. Lauterbacher hatte weitere Truppen versprochen, die jedoch nie eintrafen. Im Blick auf die in der Stadt lebende Zivilisten war der Befehl zur Verteidigung ein Verbrechen. Die Stadt war damals völlig überfüllt. Neben der Einwohnerschaft hielten sich 5000 Verwundete und Kranke in den Lazaretten auf. Hinzu kamen viele Flüchtlinge, besonders aus dem Ruhrgebiet.

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