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Lippische Landes-Zeitung , 30.03.2005 :

Sinnloses Sterben zum Kriegsende / Rund 80 Menschen kosteten in Oerlinghausen die Gefechte das Leben

Oerlinghausen (cla). Am 3. April 1945, dem Dienstag nach Ostern, nahmen die Amerikaner Oerlinghausen ein. Werner Höltke hat sie - zu Fuß und auf Panzern - gegen 21 Uhr durch den Türspalt seines Haus an der Detmolder Straße 36 einrücken sehen (die LZ berichtete). Die Soldaten betraten ein Haus nach dem anderen - auch um dort eine Nacht zu verbringen.

Höltkes Nachbarin, Martha Ladugga, war nicht zu Hause, wohl aber ihr Onkel. Der redete auf Plattdeutsch auf die Amerikaner ein. Und das war denen wohl zu viel: Sie sahen von einer Besetzung des Hauses ab. Nicht so bei Höltkes. Werner Höltke erinnert sich, dass sie das Haus nach Soldaten und Waffen durchsuchten und sich dann im Wohnzimmer einfanden.

Befremdlich für den damals 15-Jährigen: vier waren schwarz, drei weiß und drei indianischer Herkunft. Sie schickten den Höltke zum Wasserholen, er sollten Kaffee kochen. Offenbar aus Angst vor einer Vergiftung musste der Höltke das Wasser zunächst selbst trinken. Doch die Amerikaner teilten mit ihm ihre Verpflegung, Höltke steuerte den Konfirmationskuchen seiner Schwester bei. Auch von ihm musste er ein Stück essen, bevor die Soldaten zulangten. Angst vor einem nächtlichen Mordanschlag hatten sie indes wohl nicht: Einer von ihnen teilte mit Höltke das Zimmer.

Früh am Morgen zogen die Amerikaner weiter. Sie hinterließen eine große Unordnung und eine verbrannte Tischplatte. In der Nacht hatten sie in der Küche einen Schinken gebraten, den sie zuvor aus dem Nachbarhaus mitgenommen hatten.

Zeitgleich mit dem Haus Höltkes war auch die Kommandantur an der Detmolder/Ecke Steinbruchstraße besetzt worden. In das Haus, das dem Ziegelmeister Witte gehörte, hatte der 24-jährige Ortskommandant am Ostersonntag Waffen und Lebensmittel bringen lassen, nachdem das Rathaus zu unsicher geworden war. Er und seine Soldaten hatten das Gebäude derweil jedoch fluchtartig verlassen.

Die Amerikaner räumten am nächsten Tag die Waffen aus dem Keller: Die Gewehre zerschlugen sie an einer Hausecke, wobei sich einmal ein Schuss löste, der fast noch zu einem Unglück geführt hätte. Die Panzerfäuste und die Munition wurden auf Lkw geladen. Die Lebensmittel blieben unangerührt. Den Wittes geschah nichts: Sie durften sogar im Obergeschoss ihres Hauses bleiben.

Ein Soldat mit einem Kopfverband erzählte der Hausherrin beim Anblick der Panzerfäuste, dass er am Abend zuvor in der Nähe der Kirche von einer dieser Waffen verletzt worden war. Auch die Soldaten in Höltkes Haus äußerten sich bedauernd angesichts der Fotos gefallener Verwandte des 15-Jährigen: Am Krieg sei nichts Gutes, er müsse bald zu Ende gehen, meinten sie.

Dabei waren die Verluste vor allem auf deutscher Seite: Etwa 80 Menschen kostete der Kampf um die Bergstadt das Leben, in einem Bericht eines amerikanischen Soldaten ist von fünf Toten und elf Verletzten auf amerikanischer Seite die Rede. Noch drei Tage nach Ostern lagen tote deutsche Soldaten vor allem am Tönsberg. Höltke half mit, sie auf Handwagen zu laden. Die verbrannte Leiche eines letzten Gefallenen, eines Österreichers, wurde erst Wochen später am Menkhauser Berg entdeckt.

Die enorme Anzahl amerikanischen Panzer und Lastwagen, die in den folgenden Tagen immerfort durch Oerlinghausen in Richtung Osten rollten, hätten ihm vor Augen geführt, wie sinnlos die Kämpfe angesichts solch einer Materialüberlegenheit gewesen seien, sagt Höltke.


cla@neue-westfaelische.de

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