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Mindener Tageblatt , 30.03.2005 :

Verborgene Zeugnisse für Nazi-Untaten / Verwaltungsgericht Minden entschied: Gelände des Arbeitserziehungslagers Lahde bleibt Bodendenkmal

Minden (mt). Ein Bodendenkmal muss nicht aus uralzer Zeit stammen, um schützeneswert zu sein. Auch das Grundstück, auf dem bis vor 60 Jahren das "Arbeitserziehungslager Lahde" stand, ist ein wertvolles Bodendenkmal.

Von Hartmut Nolte

Das entschied jetzt die erste Kammer des Verwaltungsgerichts Minden in einem Prozess der Grundstücksbesitzer gegen die Stadt Petershagen.

Die Stadt hatte auf Anraten des Westfälischen Amts für Denkmalpflege in Münster das etwa 2,5 Hektar große Areal, das heute direkt an der B 482 in unmittelbarer Nachbarschaft zum Industriegebiet Lahde liegt, mit Bescheid vom 11. März 2003 in die Schutzliste eintragen lassen. Es handele sich um ein Bodendenkmal mit unterirdischer Denkmalsubstanz, das Spuren der Unmenschlichkeit und Terrorherrschaft der Nazis enthalte, wurde das öffentliche Interesse begründet.

Das Lager war 1943 auf dem Acker-Grundstück eingerichtet worden, hier wurden zeitweise bis zu 800 russische, polnische niederländische, französische und staatenlose Häftlinge in vier Holzbaracken untergebracht. 20 Mann mussten sich je einen Raum von etwa 25 Quadratmetern teilen. Weitere Gebäude waren für das Wachpersonal und die Verwaltung gebaut worden.

Berüchtigt war der Arrestbunker. Auf dem Gelände wurden Menschen nicht nur gequält sondern auch exekutiert und gehenkt, also ermordet.

Geführt wurde das Lager mit 30 Mann Stammpersonal von einer Gestapo-Dienststelle aus Hannover. Die Gefangenen sollten beim Bau der Staustufe Petershagen sowie des unmittelbar benachbarten Kraftwerks arbeiten.

Am 1. April 1945 wurde das Lager angesichts der heranrückenden alliierten Truppen aufgelöst, und die meisten der Insassen zum Marsch nach Osten gezwungen. Später waren hier so genannte "Displaced Persons", Fremdarbeiter aus der Kriegszeit, untergebracht. Nach Abbruch der oberirdischen Einrichtungen wurde es ab 1950 wieder als Ackerland genutzt. Lediglich ein Gedenkstein am Rande erinnert hier an die schlimme Vergangenheit dieses Fleckchens Erde.

Doch im Boden, etwa 50 Zentimeter unter der Oberfläche, gibt es noch Spuren des Lagers, Abfallgruben und Latrinen, Fundamente, Leitungen - Vergessenes, Vergrabenes und Verschüttetes.

Stumme Zeugen, die gut auf die Zustände im Lager schließen lassen, so die Argumentation der Stadt Petershagen, basierend auf der Meinung der Archäologen, die in Form des Westfälischen Amts für Denkmalpflege als Beigeladene am Prozeß teilnahmen. Denn man weiß noch recht wenig über das, was sich dort zwischen 1943 und 1945 zugetragen hat.

Für eine an Sicherheit grenzende Existenz solcher Denkmäler gebe es keine greifbaren Anhaltspunkte, hielten die Kläger dagegen und forderten eine Herausnahme aus der Denkmalsliste. Das Gericht wies die Klage ab.

Zwar habe der Boden selbst keinen Denkmalswert an sich, bilde aber mit den mit Sicherheit vorhandenen historischen Zeugnissen eine Einheit. Die ließen sich oft nur aus ihrer Lage im Boden hinreichend erklären, sah die Kammer, die sich im Ortstermin ein Bild gemacht hatte, die Gefahr, dass das Denkmal durch eine Ausgrabung zum Beweise der Existenz solcher Zeitzeugen paradoxerweise zerstört würde.

Auf greifbare Beweise könne aber auf Grund der wissenschaftlich-sachverständigen Argumentation verzichtet werden. Luftaufnahmen, Vergleiche mit anderen Grabungen und die unbestrittene Fachkompetenz des Sachverständigen Dr. Daniel Berenger, Leiter der Außenstelle Bielefeld des Westfälischen Amts für Denkmalpflege, sah das Gericht als ausreichende Belege an.

Aus den Abfallgruben lasse sich die Ernährungsituation im Lager erkennen, ja aus dem Bodenschichten sogar Schwankungen in dem Zweijahres-Zeitraum, und Arbeits- und Gebrauchsgegenstände sowie die zweifellos vorhandenen Fundamente der Baracken ließen Schlüsse auf Lebensumstände der Häftlinge zu, anerkannte die Kammer die Ausführungen Berengers.

Eine Enteignung sah das Gericht in der Unterschutzstellung nicht, denn wie gehabt kann der Ackerbau weiter betrieben werden.

Nur für eventuelle Bauzwecke, die Eingriffe in die Tiefe erforderten, steht es nicht nur Verfügung. Grabungsrechte haben somit nur die amtlichen Geschichtsforscher - zur gegebenen Zeit.


mt@mt-online.de

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