Junge Linke Lippstadt ,
26.03.2005 :
Redebeitrag auf der Gedenkkundgebung für die Opfer des Faschismus
Liebe Damen und Herren,
verehrte AntifaschistInnen,
wie schon in den Jahren zuvor haben wir uns heute hier versammelt, um den Opfern des Nationalsozialismus im allgemeinen und den in Dortmund ermordeten Lippstädter Antifaschisten und französischen Zwangsarbeiter im konkreten zu gedenken. Nicht nur dieses Verbrechen jährt sich nun zum sechzigsten Mal, mit dem 8. Mai, der nun unmittelbar bevorsteht, liegt die bedingungslose Kapitulation NS-Deutschlands und der Sieg über den deutschen Faschismus sechzig Jahre zurück. Die Ära der Deportation und Vernichtung der europäischen Juden, der Roma und Sinti und all der anderen Menschen, die dem Wahn der nationalsozialistischen Ideologie nach als Feinde der deutschen Volksgemeinschaft galten, hatte, wenn auch viel zu spät, ein Ende. Nie werden wir die Bilder der Reichspogromnacht oder der Vernichtungslager Auschwitz, Treblinka, Sobibor, Majdanek und der anderen vergessen. Nie werden wir vergessen, wer die Täter und wer die Profiteure dieser unvergleichbaren Verbrechen waren.
Ebenso werden wir nie die Bilder der jubelnden Menschen in den Niederlanden, England, Russland, Polen, Jugoslawien und den vielen anderen Ländern, die im Zuge des deutschen Vernichtungskrieges überfallen wurden, vergessen. Für die hatte die Zeit der faschistischen Okkupation ein Ende. Ähnliche Bilder von feiernden Menschen auf den Strassen, welche die alliierten Truppen als Befreier empfingen, waren von den Deutschen wohl nicht zu sehen. Zu stark war für viele die Verbundenheit mit dem NS-System, zu groß die Enttäuschung über das vorzeitige Ende des als tausendjährig versprochenen dritten Reichs. Es wird wohl eher das Gefühl des besiegt seins und der Niederlage gewesen sein, welches den deutschen Seelenfrieden trübte. Dementsprechend dauerte es Jahrzehnte, bis die deutschen Verbrechen im öffentlichen Diskurs thematisiert, aber zugleich auch von vielen bagatellisiert wurden. Mittlerweile wird quer durch alle etablierten Parteien und Institutionen "von einer immer währenden Verantwortung" gesprochen und die "Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus" als eine "bleibende Verpflichtung" bezeichnet. Bundespräsident Horst Köhler wies in seiner Ansprache vor der Knesset sogar darauf hin, dass die "Verantwortung für die Shoah" ein "immer währender Teil der deutschen Identität" sei.
Leider folgen dieser vermeintlich antifaschistischen Rhetorik keine entsprechenden Handlungen. Vielmehr wird der Begriff der "Verantwortung" derart inflationär und beliebig angewandt, dass er beliebig gefüllt und instrumentalisiert wird. Spätestens seit Antritt der rot-grünen Bundesregierung ist nicht mehr Verdrängung, sondern Nutzbarmachung der NS-Vergangenheit angesagt. Als allerdeutlichstes Beispiel sei hier die Rechtfertigung der Beteiligung am NATO-Angriffskrieges gegen die Bundesrepublik Jugoslawien angeführt, als es u.a. von Außenminister Fischer hieß, der Krieg sei nicht trotz, sondern wegen Auschwitz notwendig. Wir positionieren uns klar und eindeutig gegen die Relativierung und Instrumentalisierung der Shoah, ganz egal von welcher politischen Richtung diese betrieben wird. Aber auch in Bezug auf die zu einem großteil immer noch nicht entschädigten Zwangsarbeiter zeigt sich, was Politik, Wirtschaft, aber auch weite Teile der Gesellschaft unter "Verantwortung" verstehen. Für viele, die hier zur Sklavenarbeit gezwungen wurde, kam jede Rettung zu spät. Diejenigen, welche die Tortur überlebten, mussten 55 Jahre warten, bis von Seiten der Politik und Wirtschaft unter einem wachsenden internationalen Druck Bereitschaft signalisiert wurde, in die dafür gegründete Stiftung einzuzahlen. Den allermeisten der deutschen Unternehmen, die von der Sklavenarbeit profitierten, war aber selbst der läppische Betrag von einem tausendstel des Jahresumsatzes zu hoch, sodass sie jede Entschädigungszahlung verweigerten. Einige Opfergruppen, wie die als Militärinternierten verschleppten italienischen Zwangsarbeitern, wurden ganz ausgeschlossen. Diese zusätzliche, durch Ignoranz gekennzeichnete Demütigung der NS-Opfer ist in keiner Weise hinnehmbar!
Es darf nicht vergessen werden, wie maßgeblich das aus der industriellen Vernichtung, der Arisierung und der Zwangsarbeit geschlagene Kapital zur NS-Kriegsökonomie, wie aber auch dem späteren sog. Wirtschaftswunder beigetragen hat!
Ein würdiges Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus muss sich den wieder stärker werdenden geschichtsrevisionistischen Tendenzen erwehren und Partei für die ergreifen, welche antisemitischer und rassistischer Ausgrenzung und Verfolgung ausgesetzt waren oder heute noch sind.
Nicht nur an den Stammtischen wächst das Bedürfnis, die nationalsozialistische Geschichte aus einer anderen als der Täterperspektive zu betrachten und den deutschen Verbrechen die Konsequenzen gegenüberzustellen, welche der nationalsozialistische Vernichtungskrieg nach sich zog. Es ist schon bezeichnend, wenn auf der einen Seite das Buch "Der Brand" des Historikers Jörg Friedrich monatelang als Bestseller geführt wird und gelobt wird, indem dieser die Bombardierung Dresdens mit einem einzig großen Krematorium vergleicht, die öffentliche Empörung aber Wellen schlägt, wenn die NPD die Bombardierungen als "Bombenholocaust" bezeichnet. Im Gegenteil kann es doch nicht verwundern, dass Nazis nicht nur von den Folgen des Sozialkahlschlags profitieren, sondern auch in den aktuell geführten Erinnerungsdiskursen Anknüpfungspunkte für ihre Hetze finden. Besonders ärgerlich und unangenehm für die Protagonisten der bundesrepublikanischen Erinnerungspolitik wird es immer dann, wenn wie zuletzt in Dresden, Nazis unter den Augen der Weltöffentlichkeit im Kontext offizieller Gedenkveranstaltungen marschieren. Gehören Naziaufmärsche unter dem Schutz der Polizei schon fast zum Wochenende wie die Bundesliga, werden sie erst dann nicht nur zur Gefahr für Migranten und politisch anders denkende, sondern auch für den Wirtschaftsstandort, wenn die Besorgnis im Ausland wächst.
Reine Symptombekämpfung ist es, wenn im Schnellverfahren das Straf- und Versammlungsrecht verschärft und Nazidemonstrationen an national-historisch sensiblen Orten verboten werden sollen.
Richtig und wichtig ist es hingegen, die dankende Erinnerung an diejenigen wach zuhalten, welche die Welt von der Tyrannei Nazideutschlands befreit haben und ferner jedwede Form des Nationalismus, Antisemitismus und Rassismus als solche zu benennen und zu bekämpfen. Ferner gilt es, sich entgegen den wachsenden sozialen Ungleichheiten für eine wirtschaftliche Ordnung einzutreten, in welcher der Mensch und nicht die Maximierung des Profits im Mittelpunkt steht. Wenn dies nicht geschieht, verkommt jedes Bekenntnis gegen Rechtsextremismus zur Farce.
Vielen Dank für das Zuhören.
lijuli@web.de .
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