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Antifa-Café der alten Pauline , 28.03.2005 :

Mittwoch, 27. April 2005 um 19.30 Uhr im Antifa-Café der alten Pauline: Filmworkshop zum 60. Jahrestag der Befreiung - Deutsche Kriegsverbrechen in Italien

Als im Herbst 1962 der italienische Spielfilm "Die vier Tage von Neapel" in den Kinos anlief, rief das in der Bundesrepublik nicht nur bei der damaligen Regierung in Bonn, Unmut hervor. Die Verletzung eines Tabus, das besagte, dass die Wehrmacht, wenn überhaupt, nur im Osten eine verbrecherische Kriegführung praktizierte, wurde durch jenen meisterhaften Antikriegsfilm über den erfolgreichen Volksaufstand der Stadt Neapel gegen die nationalsozialistische Besatzungsherrschaft in Frage gestellt. Seine Bilder und Texte konfrontierten mit einer historischen Wahrheit:

"Was da gewollt oder ungewollt in Vergessenheit geriet und in aller Regel strafrechtlich ungeahndet blieb, ist keine Bagatelle. Handelt es sich doch zum Teil um staatlich legitimierte rechtswidrige Tötungshandlungen, also im Auftrag des NS-Regimes und seiner entsprechend autorisierten Funktionsträger begangene oder von ihnen geduldete Kriegsverbrechen. In Rede stehen der Tod von 46.000 sogenannten Militärinternierten, die Ermordung von fast 6.800 Soldaten, die verbrecherische Tötung von rund 16.800 zivilen Staatsbürgern, darunter 7.600 italienische Juden, und der Verbleib von 37.000 politischen Gefangenen. Anders gewendet, zwischen dem 8. September 1943, als der "Achsenpartner" aus dem Krieg ausschied, und dem 2. Mai 1945, als die Kapitulation der deutschen Wehrmacht samt SS und Polizei in Italien in Kraft trat, starben - ohne Berücksichtigung der gefallenen Partisanen und regulären Soldaten sowie der durch Kriegseinwirkungen getöteten Staatsbürger - täglich über 160 italienische Kinder, Frauen und Männer jeden Alters durch deutsche Hand, sei es auf direkte, sei es auf indirekte Weise."

(Gerhard Schreiber: "Deutsche Kriegsverbrechen gegenüber Italienern")

Das Antifa-Café bietet drei ältere Film-Dokumentationen über NS-Täter aus 2002 beziehungsweise 2001 an und wird über den weiteren Fortgang und die aktuelle Situation berichten.

1. Film:

"Herrenpartie - Eine italienische Reise"

Autor: Hans-Rüdiger Minow
Redaktion: Heribert Blondiau
WDR 2001, 45 Minuten

Drei Männer brechen zu einer Fahrt durch Italien auf: Vom Gardasee an den Golf von Triest, in die Toskana und nach Umbrien. Doch die Herrenpartie dient nicht der Erholung. Die italienische Reise führt zu vergessenen Ereignissen aus der deutschen Besatzungszeit. Ob in den toskanischen Bergen oder im umbrischen Apennin: nicht weit von den heutigen Urlaubsorten fanden unzählige Massaker statt. Mehr als 10.000 italienische Zivilistinnen und Zivilisten, vor allem Frauen, Kinder und Alte, wurden von Wehrmachtseinheiten und Sonderkommandos ermordet.

Diplomatische Vertreter der Bundesrepublik erweisen diesen Tätern Jahr für Jahr ihre Referenz. Auf den deutschen Soldatenfriedhöfen in Italien ehren sie die Mörder mit Kranzniederlegungen und Gedenkfeiern.

Manfred Steinkühler, ehemaliger Generalkonsul der Bundesrepublik in Mailand, widersetzte sich diesen Praktiken des Auswärtigen Amtes. Seine Opposition führte ihn in den einstweiligen Ruhestand. Auf der Reise durch Italien muss er feststellen, dass sich seitdem nichts geändert hat: Auch unter Minister Fischer, einem begeisterten Toskana-Urlauber, pflegt das Berliner Außenministerium das Andenken von Kriegsverbrechern.

Steinkühlers Anwalt Heinrich Senfft versucht auf der Reise zu klären, warum die deutschen Massaker über mehrere Jahrzehnte nicht verfolgt wurden. Er stößt auf eine unvermutete Spur. Holger Banse, deutscher Pfarrer mit italienischer Vergangenheit, befragt Überlebende und erfährt, dass der deutsche Staat den italienischen Opfern bis heute jegliche Anerkennung verweigert.

Die "Italienische Reise" wurde zum Zeitpunkt mehrerer Prozesse ausgestrahlt, die von italienischen Militärstaatsanwälten gegen überlebende Täter vorbereitet werden.

2. Film:

"Todesengel - Auf den Spuren deutscher Kriegsverbrecher in Italien"

Eine Dokumentation von René Althammer und Udo Gümpel
SFB 2002, 45 Minuten

10.000 italienische Zivilistinnen und Zivilisten wurden im "Partisanenkrieg" von deutschen Truppen ermordet: Frauen, Kinder, alte Männer. Die Täter waren Soldaten der SS und der Wehrmacht. Seit über 50 Jahren sind die Verbrechen und viele Tatverdächtige bekannt.

Einer von Ihnen ist der ehemalige SS- und Polizei-Chef von Genua, Friedrich Engel. Die Gefangenen des Genuaer Stadtgefängnisses nannten ihn "Todesengel". Engel lebte nach dem Krieg wieder in Hamburg. Die Filmemacher René Althammer und Udo Gümpel haben ihn dort ausfindig gemacht.

Am 4. Juli 2002 verurteilte das Hamburger Landgericht den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Friedrich Engel zu sieben Jahren Haft wegen des Mordes an 59 Partisanen und Gefangenen 1944 am Turchino-Pass bei Genua. Trotzdem wurde er für seine Verbrechen nicht mehr zur Verantwortung gezogen, denn das Gericht hielt Engel für haftunfähig. Zu dem in der Presse als "letzter großer Kriegsverbrecherprozess" bezeichneten Hauptverfahren kam es erst, nachdem Engel in Italien 1999 in Abwesenheit wegen 246-fachen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden war; die weiteren Morde spielten im Hamburger Prozess keine Rolle.

Friedrich Engel ist nicht der einzige, der jahrzehntelang unbehelligt ein normales Leben führen konnte. René Althammer und Udo Gümpel haben weitere ehemalige SS-Offiziere und Soldaten gefunden, die möglicherweise an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Bis heute leben diese Männer in Deutschland, ohne für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen worden zu sein.

"Todesengel" rekonstruiert die Massaker von Sant’Anna und Marzabotto und fahndet nach den mutmaßlichen Tätern. Der Film offenbart auch einen Justizskandal: Deutsche Staatsanwälte verharrten - zwischen Überforderung, Inkompetenz und Unwillen - jahrelang untätig. Die zweieinhalbjährigen Recherchen zu diesem Film haben den juristischen Aufarbeitungsprozess in Deutschland (und Italien) massiv befördert.

3. Film:

"Mord auf Kephallonia"

Ein Film von Hans-Rüdiger Minow
Redaktion: Beate Schlanstein
WDR 2002, 45 Minuten

"Mord auf Kephallonia" erinnert an ein vergessenes Kapitel des Zweiten Weltkriegs: 1943 werden italienische Besatzungssoldaten auf der griechischen Insel Kephallonia von deutschen Truppen interniert, nachdem die deutsch-italienische Achse zerbrochen ist und die Waffenbrüder zu Gegnern geworden sind. Weil die Italiener sich nicht widerstandslos entwaffnen lassen wollen, befiehlt der Kommandierende Wehrmachtsgeneral des XXII. Gebirgs-Armeekorps, sämtliche Gefangenen zu töten. In einem großangelegten, militärisch geordneten Massaker werden daraufhin Tausende von Offizieren, Unteroffizieren und Mannschaften der Division "Acqui" an Ort und Stelle ermordet; weitere 3.000 laufen vor Kephallonia auf einen Minengürtel und ertrinken. Das Massaker ist in der Bundesrepublik bis heute weitgehend unbekannt; keiner der Täter ist von deutschen Gerichten je verurteilt worden.

Für die Dokumentation "Mord auf Kephallonia" gehen zwei Männer auf Spurensuche: Marco Pazzini, einer der wenigen Überlebenden des Massakers, der erlebte, wie seine Freunde und Kameraden von Deutschen erschossen wurden, und Manfred Steinkühler, der als ehemaliger deutscher Generalkonsul in Mailand nicht nur Überlebende deutscher Kriegsverbrechen kennen lernte, sondern auch den offiziellen deutschen Umgang mit dieser Vergangenheit. Zusammen mit griechischen Augenzeugen zeichnen die beiden Männer die Ereignisse auf Kephallonia nach. In Deutschland verfolgen sie das Nachleben des Massakers. Sie fragen nach dem Umgang mit der Tat und den Tätern in der Nachkriegszeit. Lückenlos rekonstruieren sie den langen Weg des Verschweigens und Verdrängens, der dazu geführt hat, dass bis heute kein Täter verurteilt wurde, kein Opfer eine Entschädigung erhalten hat und das Massaker von Kephallonia fast vollständig vergessen ist.

Veranstaltungsort:

Autonomes Kultur- und Kommunikationszentrum
alte Pauline
Bielefelder Straße 3
32756 Detmold

Eine Veranstaltung des Bildungswerks Lippe in Kooperation mit der Kulturinitiative Detmold e.V.


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