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Die Glocke , 25.03.2005 :

Einmarsch der Amerikaner in Sendenhorst am Karsamstag 1945 / Ohne Widerstand und Blutvergießen Stadt übergeben

Von Ulf Steffenfauseweh

Sendenhorst (gl). "Für uns war das alles unvorstellbar. Die hatten uns doch eingetrichtert, dass die alliierten Flugzeuge alle von der Flak abgeschossen werden. Aber wir konnten auch von Sendenhorst aus genau sehen, wie die Bomben heruntergingen und der Hammer Verschiebebahnhof bei einem der ersten Tagangriffe in Flammen aufging."

Auch fast genau 60 Jahre später erinnert sich der Sendenhorster Helmut Holthaus noch ziemlich genau an die letzten Tage des so genannten 1000-jährigen Reiches in seiner Heimatstadt und an die Befreiung von der Nazi-Herrschaft durch amerikanische Truppen am Karsamstag, dem 31. März des Jahres 1945.

"Befreiung?" Helmut Holthaus richtet sich in seinem Sessel nach vorn, die Stimme hebt sich: "Befreiung? Ha, als Befreiung wurde das damals nicht empfunden. Wir Jungs von Hitlerjugend und Jungvolk waren doch so versessen, noch bis in die letzten Tage." Widerstand gegen die anrückenden Amerikanern wurde in Sendenhorst dann aber - "Gott sei Dank", wie der heute 75-Jährige unterstreicht - trotzdem nicht mehr geleistet. Die Übermacht der alliierten Armeen war zu groß, die Organisation in der Stadt völlig zusammen gebrochen: "Es war ja keine Front mehr da und es ging alles rasend schnell. Die haben sich auf ihre Panzer gesetzt und sind durchgefahren. Auch das mit dem Vokssturm klappte alles nicht. Es gab wohl ein paar ganz fanatische Nazis, die noch verteidigen wollten. Doch die hatten keine Ahnung von Panzerfäusten", so Holthaus.

Eine Panzersperre hatte die örtliche Militärbehörde in der Martinusstadt dennoch errichten lassen. Sie stand am Eingang der Stadt zwischen Friedhof und Krankenhaus und war nicht mehr als zwei Betonringe mit Schutt vollgeschüttet. "Damit hätten die überhaupt kein Problem gehabt", lacht Helmut Holthaus. Ein Problem hätte dagegen die Stadt Sendenhorst gehabt, wäre die Sperre stehen geblieben. Denn mit deutschem Widerstand machten die GI's in diesen Tagen kurzen Prozess.

So hat es Maria Austrup, Gattin des Sendenhorster Bürgermeisters Joseph Austrup (1917 bis 1943), 1965 anlässlich des 650-jährigen Stadtjubiläums in ihren Erinnerungen niedergeschrieben: "Der Boden bebte unter den Riesenpanzern, die langsam vorsichtig sichernd wie unheilvolle Ungeheuer anrückten. Hochspannung zitterte und zerrte an den Nerven der Beobachter. Wenn Hitlerleutchen, die noch in der Stadt waren, auch nur einen Schuss abgegeben hätten, dann hätte die Kriegsfurie die ganze Stadt niedergewalzt, abgebrannt und eingeebnet. So viel wusste man von der Praxis des Feindes."

In Sendenhorst siegte die Vernunft. Wenngleich nicht ohne dramatische Szene. So erzählt Stadtarchivar Hans-Günther Fascies, dass es an der Panzersperre "hart zur Sache ging" bei der Diskussion, ob sie stehen gelassen oder in den Graben gerollt werden sollte. Und auch Helmut Holthaus bestätigt: "Da stand einer - der alte Kruse - mit der Pistole dabei, dass sie ja keiner anrührte." Doch er konnte sich nicht durchsetzen. Die Sperre wurde wenige Tage vor dem Einmarsch von beherzten Sendenhorstern beseitigt. Damit war der Weg für den friedlichen Einzug der US-Truppen, die von Drensteinfurt her anrückten, frei.

Die Gefahr für die Stadt allerdings noch nicht restlos beseitigt. Denn die Amerikaner hatten zwar ihre beständig über der Stadt kreisenden Aufklärungsflugzeuge, konnten sich aber nicht 100-prozentig sicher sein, dass die Stadt gewaltlos übergeben wird. Also musste sich - ähnlich wie in der Nachbarstadt Ahlen, wo der Lazarettkommandant Dr. Paul Rosenbaum den Truppen entgegen eilte - jemand finden, der die Amerikaner aufklärte.

Ein letztes, unnützes Opfer

Wie das vonstatten ging, daran erinnert der Bericht des ersten Sendenhorster Bürgermeisters nach dem Krieg, Eugen Strotmann. Er schrieb: "Beim Einmarsch der amerikanischen Kampftruppen in die Stadt Sendenhorst am Karsamstag, dem 31. März 1945, nachmittags 2 Uhr hatten sich der damalige Bischof von Münster, Clemens-August Graf von Galen, der ja wie bekannt nach der Zerstörung des bischöflichen Palais in Münster im Krankenhaus in Sendenhorst Unterkunft gefunden hatte, und der leitende Arzt des Krankenhauses, Medizinalrat Dr. (Josef) Lintel-Höping den amerikanischen Truppen entgegen vor die Stadt begeben und den Kommandanten dringend gebeten, von einer Beschießung der Stadt abzusehen, da ein Widerstand deutscher Truppen nicht zu erwarten sei und somit unnütze Zerstörung und Blutvergießen, besonders in dem so exponiert liegenden Krankenhause vermieden würde. Diesem Erwarten wurde Gott sei Dank seitens der Amerikaner stattgegeben."

Wenngleich Maria Austrup in ihren Erinnerungen berichtet, dass Graf von Galen in der Kapelle des Stiftes betete und "dem anrückenden Feinde keine Aufmerksamkeit schenkte", ist Strotmanns Bericht glaubhaft, da er auch von der Zeitzeugin Anna Buschhorn bestätigt wird. Sie erzählt, die Szene mit eigenen Augen beobachtet zu haben. "Von meinem Haus gegenüber dem St.-Josef-Stift habe ich auf die Straße geguckt und sie den Amerikaner entgegen gehen sehen", so die heute 88-Jährige, die im St.-Elisabeth-Stift lebt. "Sie blieben stehen und kurz vor dem Friedhof konnte ich einen Händedruck beobachten." So zogen die Amerikaner schließlich in ein Sendenhorst ein, aus dessen Häusern reichlich weiße Flaggen wehten.

Einen traurigen Zwischenfall gab es dennoch. Einige versprengte deutsche Soldaten waren kurz vorher durch Sendenhorst gezogen und flüchteten vor den Amerikanern in Richtung Hoetmar. Fanatisiert von Leuten wie dem örtlichen Nazi-Gauleiter Alfred Meier, der sich selbst abgesetzt hatte, wollten sie hier einige Bauernhöfe verteidigen und beschossen die Alliierten. Die antworteten mit Panzerfeuer, was den Tod der jungen Soldaten und zwei in Brand gesetzte Höfe zur Folge hatte. "Ich habe sie vorher noch hier in der Stadt gesehen und mit ihnen gesprochen", erinnert sich Helmut Holthaus. 15 oder 16 Jahre alt seien sie gewesen und wild entschlossen, noch zu kämpfen. "Die dachten, sie machen jetzt noch eine Front auf", sagt Holthaus und schüttelt vehement den Kopf: "So ein Blödsinn. Das war wie mit einem Luftgewehr auf Tauben zu schießen. Ich hab ihnen gesagt 'Bleibt hier und zieht euch Zivilkleidung an'. Dann hätte man sie noch retten können. Aber sie wollten nicht. Und aufgrund der Luftaufklärung waren sie ohne Chance."

So fand der Krieg auch in Sendenhorst ein blutiges Ende. Die Stadt jedoch blieb dank der Besonnenheit ihrer Einwohner unbeschadet.


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