Lippische Landes-Zeitung ,
25.03.2005 :
Ostern entscheidet sich das Schicksal / Werner Höltke hat das Ende des Zweiten Weltkrieges in Oerlinghausen miterlebt und Tagebuch geführt
Oerlinghausen (cla). Ostern vor 60 Jahren marschierten die Amerikaner in Oerlinghausen ein. Es waren die am heftigsten umkämpften Tage in der Geschichte der Bergstadt. Viele junge Menschen fanden damals den Tod. Werner Höltke hat in dieser Zeit Tagebuch geführt. Er war am 28. März, dem Mittwoch vor Ostern, von Petershagen an der Weser in sein Heimathaus an die Detmolder Straße 36 zurückgekehrt. In zwei Teilen stellen wir seine Erinnerungen vor.
Am Gründonnerstag erfuhr Höltke, dass amerikanische Panzer in den Raum Brilon/Geseke vorgestoßen waren. In der Nacht zum Karfreitag wurde der Volkssturm alarmiert, damit er die Panzersperren an der Holter Straße und an der Bruchstraße besetzt. Das Straßenbild sei von durchfahrenden Wehrmachtsfahrzeugen und Flüchtlingen bestimmt gewesen, erzählt der Heimatkenner, der damals 15 Jahre alt war.
Wie viele Oerlinghauser ging er auf den Tönsberg, um sich einen Überblick zu verschaffen. Von dort hörte er die Geschütze der Amerikaner, die inzwischen bis Paderborn vorgedrungen waren. Vor seinem Haus sah Höltke die Oerlinghauser mit Karre oder Handwagen in Richtung Helpup, Währentrup und Mackenbruch fliehen. Martha Ladugga, Höltkes Nachbarin, erzählte ihm, dass sie vor lauter Aufregung Waschpulver statt Butter eingepackt hatte.
Eine Schießerei kündigte am Morgen des 2. April, es war der Ostermontag, den ersten Angriff der Amerikaner an. Zu Beginn der Kampfhandlungen kamen Jugendliche, wie ihnen befohlen worden war, im Keller des Rathauses zusammen. Der 24-jährige Ortskommandant wollte sie als Melder und für ähnliche Aufgaben einsetzen. Dann ließ er jedoch Waffen verteilen. Höltke suchte das Weite. Am Ostersonntag gab auch der Kommandant seinen Befehlsstand auf: Er zog sich in das Haus des Ziegelmeister Witte an der Ecke Detmolder Straße/Steinbruchstraße zurück.
Waffen und Munition waren schon vorher vom Kohlenhändler Meier mit seinem dreirädrigen Hanomag vom Elektrizitätswerk dorthin gebracht worden. Witte gefiel das nicht, doch der junge Offizier hatte ihm mit Standgericht und Erschießen gedroht. Der Ziegelmeister beugte sich.
Die Amerikaner beschossen unterdessen verstärkt mit Artillerie die südlichen Ortsteile und den Tönsberg. Ein zweiter Angriff scheiterte, mehrere amerikanische Panzer wurden abgeschossen. Beim dritten Angriff besetzten die Amerikaner die Kirche und die umliegenden Häuser. Unter anderem schossen sie aus dem Kirchturm heraus. Die Jugendherberge wurde noch eine Weile heftig umkämpft. Mehrere Bewohner wählten den Freitod.
Vermehrt schlugen amerikanische Granaten auf der Nordseite des Tönsbergs ein, die ihre Ziele - die Windmühle und das Ehrenmal - verfehlt hatten. Eine Granate traf den Schornstein von Höltkes Nachbarhaus, die Bruchstücke zerschlugen etliche Fensterscheiben. Der 15-Jährige, der zu diesem Zeitpunkt allein war, dichtete sie mit Spanplatten ab, die er von der Möbelfabrik Bobe erhielt. Etliche andere Häuser brannten: Diekhoff, Ehlebracht, Blanke, Hansing und Ermgassen.
Am Abend des Ostermontag sah Höltke die Leuchtspur der Munition, die aus einem deutschen Maschinengewehr vom Tönsberg in Richtung Scherenkrug abgeschossen worden war. Daraus schloss er, dass auch bis dorthin schon Amerikaner vorgerückt waren. Oerlinghausen war zu diesem Zeitpunkt bereits von drei Seiten umschlossen.
Am nächsten Morgen warfen viele Deutsche Waffen in die Steinkuhle oberhalb des Gartens von Höltkes Familie. Am Nachmittag ließ der Gefechtslärm merklich nach. Und gegen 21 Uhr hörte Hölkte vor seinem Haus eine fremde Sprache: Durch einen Türspalt beobachtete er, wie amerikanische Soldaten auf beiden Straßenseiten in Abständen von etwa fünf Meter vorrückten. Als Höltke neugierig vor die Tür treten wollte, brüllten ihn Amerikaner an: "Go back!" Höltke ließ sich das nicht zweimal sagen. Später begann das Aufräumen, und was der Heimatforscher dabei erlebte, lesen Sie am Mittwoch im zweiten Teil.
cla@neue-westfaelische.de
|