Deister- und Weserzeitung ,
23.03.2005 :
Sie waren den Luftangriffen schutzlos ausgeliefert / Wie die Zwangsarbeiter die Schrecken des Krieges erlebten / Notdürftige Verstecke in Bombentrichtern
Von Bernhard Gelderblom
Hameln. Für die Zwangsarbeiter waren die letzten Kriegsmonate lebensgefährlich. Polen, Ostarbeitern und Kriegsgefangenen war der Aufenthalt in öffentlichen Bunkern verboten. Ihre Lager befanden sich in der Nähe von Industriebetrieben. Diese wiederum waren in aller Regel an Gleisanlagen angebunden, die in den letzten Kriegsmonaten ständig bombardiert wurden. Die Zwangsarbeiter mussten bei den häufigen Alarmen und Angriffen in Bombentrichtern Schutz suchen oder in den Wald flüchten. Bombentrichter wurden über Tage und Nächte zum ständigen Aufenthalt. Auf die ohnehin geschwächten Menschen wirkte dies besonders zermürbend.
In vielen Lagern gab es nur provisorische Splitterschutzgräben als Zuflucht, mannstiefe, mit Holzbrettern ausgekleidete und zugedeckte Gräben. In einigen Hamelner Lagern hatte man mannsgroße Betonröhren im Zickzack ausgelegt, die ebenfalls nur eine notdürftige Sicherheit gegen Splitter boten. Häufig fehlte jedoch jeder Schutz gegen Bomben. Im März 1945 starben in Hameln 16 Zwangsarbeiter, davon 6 durch Bombenangriffe, im April waren es 21, davon 9 durch Artilleriebeschuss. Die tatsächlichen Zahlen dürften deutlich höher liegen.
Monika K. (geboren 1912 in Warschau) musste bei den Vereinigten Wollwarenwerken Marienthal arbeiten, die unweit des Güterbahnhofs an der Hauptlinie nach Hannover lagen. Sie berichtet:
"Zu den schlimmsten Erlebnissen gehörten die Luftangriffe - schlaflose Nächte, hochgespannt, immer in Erwartung und bereit, wegzulaufen. Wir waren todmüde. Es war nicht möglich, sich nach dem Arbeitstag in der Fabrik auszuruhen. Wir lebten immer in Spannung und Stress. Die Flugzeuge, die nach Berlin oder Hannover flogen, flogen immerüber uns hinweg. Sehr oft warfen sie auch Bomben über Hameln ab. Es gab Nächte, die so frostig oder regnerisch waren, dass wir trotz des Bombenalarms in den Baracken blieben. In dieser Zeit haben wir einen schweren Bombenangriff erlebt. Die Bahnschienen wurden auf das Fabrikgelände geschleudert. Unsere Baracke schwankte, der Putz fiel von der Decke und den Wänden. Es war schrecklich. Es wurde uns befohlen, die Baracke zu verlassen.
Einmal kamen wir nach einem Luftangriff auf die Bahnanlagen zurück aus dem Wald. Da erschien plötzlich eine Gruppe von Hitlerjungen und hat uns mit Schneebällen und Steinen beworfen. Ich sprach einen von ihnen an, dass so etwas nicht schön sei und dass man so etwas nicht mache. Er lachte nur und antwortete: 'Schön vielleicht nicht, aber es macht Spaß!' Ich schaute mir das Gesicht an, so ein hübsches Gesicht, und dachte, dass sogar die Kinder vollgestopft sind mit Hass. Wie lange wird man brauchen, das alles zu heilen und den Hass aus den Köpfen weg zu kriegen!?
Am 25. März 1945, das war ein Sonntag, waren wieder Luftangriffe auf Hameln. Also mussten wir uns verstecken. Wir haben uns in einem Bombentrichter versteckt. Wir saßen da und beobachteten die Flugzeuge, und plötzlich wurde eines von ihnen von einer Fliegerabwehrkanone getroffen und stürzte herunter. Wir sahen in der Nähe von uns einen Fallschirm herunterkommen. Als es ein wenig ruhiger geworden war, gingen wir hin. Die Stelle war schon mit Gendarmerie umstellt. Der Pilot lebte. Als er bemerkte, dass wir Polen waren, schrie er uns zu: 'Ich komme aus Radom!' Er war ein Pole.
Dieser Tag war das Jüngste Gericht für Hameln. Man hatte das Gefühl, dass die Flugzeuge nie mehr aufhören würden zu bombardieren. Am Nachmittag ging die Bombardierung wieder los. Wir liefen weg und haben es dieses Mal nicht geschafft, uns im Wald zu verstecken. So war es jetzt fast jeden Tag. Die Luftangriffe nahmen zu. Wir blieben nicht mehr in unserer Baracke, sondern nahmen unsere Sachen und richteten uns in unserem Bombentrichter ein. Dort verbrachten wir die nächsten Tage."
Der französische Kriegsgefangene Raymont C. (geboren 1920) berichtet: "Beim großen Luftangriff auf Hildesheim im Jahre 1945 mussten wir die Toten bergen, eine Woche lang. Es war eine furchtbare Arbeit. Ich habe einmal sieben Tote aus einem Keller geholt. Einmal waren wir auch nach einem großen Windbruch zum Aufräumen im Wald bei Grohnde. Dort war das Essen so schlecht, dass wir lieber das Essen der Schweine aßen."
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