|
Neue Westfälische ,
23.03.2005 :
60 Jahre Kriegsende / 8. Mai 1945 / "Flucht und Vertreibung lasten auf der Seele / Interview: Diplom-Psychologin Margarete Wilk über die Folgen des Kriegsendes in Europa
Vor 60 Jahren am 8. Mai endete der Zweite Weltkrieg. Viele Menschen erinnern sich der schrecklichen Zeit. In einer Serie, die der Bielefelder Historiker Hans-Jörg Kühne mit dem Deutschlandfunk zusammengestellt hat, berichteten wir über das Schicksal der deutschen Heimatvertriebenen. Zum Abschluss sprach unser Redakteur Bernhard Hänel mit der Bielefelder Diplom-Psychologin Margarete Wilk über die seelische Last, die Vertriebene tragen müssen.
Neue Westfälische: Welche Wirkung haben Flucht und Vertreibung auf die Seele von Menschen?
Margarete Wilk: Diese Erfahrungen haben bei sehr vielen Menschen schlimme Psycho-Träume ausgelöst. Der Verlust von Heimat, von Sicherheit und Geborgenheit, von allem, was für Menschen im Leben von Bedeutung ist, ist ja auch bedrückend.
NW: Was bedeutet das für die Psycho-Therapeutik?
Wilk: Da davon ganz viele Menschen betroffen waren, wurde darüber kaum geredet. Wie hätte da eine "psychische Wiedergutmachung" stattfinden können? Zumal diese Generation - und nicht nur die Vertriebenen - eher geschwiegen hat, statt sich die Seele frei zu reden. Man hat versucht, zur Tagesordnung überzugehen.
NW: Konnten die Gespräche in den Heimatvertriebenenverbänden die seelische Not nicht lindern?
Wilk: Wenn so viele Menschen so verbittert zurückblicken - offensichtlich nicht. Voraussetzung wäre ja, dass man den Verlust zumindest anerkennt und konstruktiv damit umgeht. Viele haben das auch getan. So viel Verbitterung steckt gar nicht in den Menschen. Anderen aber fehlte wohl der Blick nach vorne, eine positive und konstruktive Perspektive.
NW: Seit dem Krieg sind fast 60 Jahre vergangen. Reicht das nicht aus, die Psyche frei zu bekommen?
Wilk: Deshalb habe ich ja den Begriff des Psycho-Traumas benutzt. Flucht, Vertreibung und all die grausamen Erlebnisse, von denen Sie in ihrer Serie berichtet haben, sind ein innerer psychischer Einbruch. Viele hätten wahrscheinlich Hilfe von außen gebraucht, weil sie das nicht aus eigener Kraft bewältigen konnten.
NW: Was bedeutet eigentlich der Verlust von Heimat für Menschen?
Wilk: Seine Heimat freiwillig zu verlassen, ist etwas völlig anderes, als wenn man dazu mit Gewalt gezwungen wird. Es gab ja nicht einmal eine Vorbereitungszeit. Es ging ums nackte Überleben. Erschwerend kam dann noch hinzu, dass Vertriebene viele Jahrzehnte lang ja nicht einmal "auf Besuch" in ihre alte Heimat zurück durften.
NW: Später aber reisten ja viele als Touristen in ihre alte Heimat.
Wilk: Wer das tat, hat sich etwas Gutes getan. Eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Schicksal kann stattfinden, wenn man sich der Situation stellt: Im verlorenen Haus, in der früheren Heimat wohnen ja Menschen, die auch kein rosiges Leben hatten. Vielen dürfte diese Erfahrung geholfen haben. Der eigene Verlust konnte so relativiert werden.
NW: Was kann man den inzwischen ja meist hoch betagten Vertriebenen raten, damit sie diese Welt nicht vollkommen verbittert verlassen?
Wilk: Auffällig ist, dass sehr viele alte Menschen jetzt anfangen, über ihre Erfahrungen zu reden. Und die, die darüber reden, stellen fest, dass es ihnen gut tut. Menschen, die keinen haben, mit dem sie reden können, haben es gerade im psychischen Bereich besonders schwer.
redaktion@neue-westfaelische.de
|