Neue Westfälische ,
22.03.2005 :
60 Jahre Kriegsende / 8. Mai 1945 / "Man wollte unsere Geschichte einfach nicht hören" / Bisher viel Lob und ergänzende Anregungen auf Serie "60 Jahre Kriegsende" / Morgen Ende der Serie mit einem positiven Ausblick
Vor 60 Jahren am 8. Mai endete der Zweite Weltkrieg. In einer Serie, die der Bielefelder Historiker Hans-Jörg Kühne mit dem Deutschlandfunk zusammengestellt hat, berichten wir über das Schicksal deutscher Heimatvertriebenen, die heute in Ostwestfalen-Lippe leben.
Bielefeld. Die Serie uber Flüchtlinge und Vertriebene in Ostwestfalen-Lippe fand ein enormes Echo. Es ging viel Lob von Betroffenen ein. Auch wurden zahllose weitere Berichte und Lebenserinnerungen mit dem ausdrücklichen Wunsch zugesandt, das Geschilderte im geplanten Buch zu verwenden.
Es gab aber auch kritische Stimmen, die darauf verwiesen, welche Aspekte der letzten Kriegsphase und der Nachkriegszeit noch stärker hätten beachtet werden können. So vermisste Lydia Paetsch aus Augustdorf deutlichere Hinweise auf die geradezu vorsätzliche Verdrängung der Flüchtlings-Erlebnisse in der westdeutschen Aufnahmegesellschaft. "Man wollte unsere Geschichte einfach nicht hören", resümiert sie.
Arno Lutat aus Lübbecke hätte sich die Beantwortung der Frage gewünscht, weshalb man den Ostdeutschen zumutete, so zu sagen stellvertretend für die Gesamtschuld aller Deutschen zu büßen. Er schlug vor, die stellenweise schlechte Behandlung der Neuankömmlinge durch die Westdeutschen zukünftig stärker zu thematisieren. Tatsächlich hat sich das Verhältnis der ostwestfälischen und lippischen Einheimischen zu den neuen Mitbürgern nur langsam normalisiert. Ausnahmen bestätigten die Regel. So schrieb Werner Exner aus Steinhagen, wie kritisch seine Familie zunächst von den hiesigen Bauern beobachtet wurde. Allerdings habe es nur ein Vierteljahr gedauert, bis diese gemerkt hätten, "dass wir ehrliche Deutsche waren".
Über die Frage, ob in einer Zeitungsserie die Formen der Gewalt gegen die Ostdeutschen durch Rote Armee, Polen und Tschechen stärker zu thematisieren sind, lässt sich streiten. Viele Schilderungen, wie etwa die von Gisela Struthmann aus Bielefeld, sparen nämlich nicht an unfassbaren Details, die benannt werden müssten, um den Schrecken greifbarer zu machen.
Auch die Umstände der Flucht sind zuweilen so grauenhaft gewesen, dass ihnen sicher auch noch mehr Raum hätte zugestanden werden können. Lucie Rapp aus Bielefeld weiß beispielsweise zu berichten, wie das Eis unter einer der drei Fahrstraßen über das Frische Haff am 21. Februar 1945 brach und "ungezählte Menschen und Tiere" in den eiskalten Fluten ertranken.
Die polnische Sicht auf die Vertreibung der Deutschen erscheint in einem seltsam schillernden Licht, wenn man Verlautbarungen der jüngeren polnischen Generation durcharbeitet. Herr Endreß von der in Bielefeld ansässigen Kreisvereinigung der ostdeutschen Landsmannschaften im Bund der Vertriebenen (BdV) stellte eine Magisterarbeit der Polin Agnieszka Dembska aus dem niederschlesischen Kamienna Góra (Landeshut) zur Verfügung. Die Arbeit, die an der Uniwersytet Wroclawski (Universität Breslau) angenommen wurde, untersucht die Vertreibung der Deutschen aus dem ehemaligen Kreis Landeshut. Dembska kommt zu der Erkenntnis, "dass die Vertreibung nicht bloß ein "Bevölkerungstransfer" war, sondern dass sie das Schicksal mehrerer Millionen Menschen für viele Jahre bestimmte".
Die eher verharmlosende Bezeichnung "Bevölkerungstransfer" dürfte Carl-Heinz Lopitzsch aus Bielefeld wahrschlich nicht gefallen. Er verwies in einem Telefonat auf den Internet-Auftritt der Arbeitsgemeinschaft "Zeitzeugenforurn" (www.zeitzeugenforum.de) innerhalb des Weiterbildungsprogramms "Studieren ab 50" an der Universität Bielefeld. Hier finden sich etliche Berichte ehemaliger Flüchtlinge und Vertriebener, die jeder einsehen kann.
Allen Interviewpartnern, Leihgebern und Kritikern sei an dieser Stelle herzlichst gedankt und versichert, dass ihre hier nur kurz referierten Anregungen mit Sicherheit in die Publikation einfließen werden, deren Erscheinen für den Herbst 2005 terminiert ist.
Beginn einer Freundschaft - 60Jahre nach Kriegsende
Enden soll die Serie in dieser Zeitung mit einem positiven Ausblick. So haben sich nach der ersten Folge der Beiträge am 29. Januar 2005, in der das Unglück des Flüchtlingszuges am Bahnhof Grünhagen geschildert wurde, Hans Timmreck aus Bad Salzuflen und Arno Lutat aus Lübbecke kennen gelernt. Beide saßen, ohne voneinander zu wissen, im Januar 1945 im Unglückszug und sind anschließend über die schneebedeckten Felder gelaufen, um Deckung vor den sowjetischen Panzern zu suchen. Vielleicht ist damit der Beginn einer neuen Freundschaft markiert, 60 Jahre nach Kriegsende.
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