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Mindener Tageblatt , 19.03.2005 :

Minden als Tummelplatz für "zahnlose Tiger" / NPD gründet örtlichen Jugendverband / Mindener Kandidat will in den Landtag / Zum Wehrsport in den Wald

Minden (mt). Die rechtsradikale Szene in Minden macht für die Landtagswahl am 22. Mai mobil. Am kommenden Samstag wird in der Weserstadt ein Stützpunkt der Jungen Nationaldemokraten (JN), der Jugendorganisation der NDP, aus der Taufe gehoben. Unterstützungsunterschriften für Landtagskandidaten werden gesammelt.

Am Montag stellte das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Verfassungsschutzbericht 2004 die Aktivitäten der Rechtsradikalen vor. Grund für Innenminister Dr. Fritz Behrens, die rechtsextremistische "Volksfront von Rechts" mit Blick auf die Landtagswahlen als einen "zahnlosen Tiger" zu bezeichnen.

Ein Tiger, der auch in Minden sein Revier markiert. So sind die JN mit einem lokalen Internetauftritt längst vor Ort präsent und kündigten für den 19. März (ohne Ortsangabe) die offizielle Gründungsfeier ihres Stützpunktes mit dem stellvertretenden Bundesvorsitzenden Florian Cordes an. Der Rechtsradikale aus Oyten ist seit 1993 NPD-Mitglied und agiert im norddeutschen Raum.

JN-Mitgliederzahl hat kaum zugenommen

Im Verfassungsschutzbericht NRW wird der Landesverband der JN allerdings als politisch bedeutungslos bewertet. Vor allem deshalb, weil trotz verstärkter Öffentlichkeitsarbeit die Mitgliederzahl nicht nennenswert zugenommen habe. Ein Kenner der Mindener Szene: "Ich kann jedem Gastwirt nur raten, am kommenden Samstag genau hinzuschauen, wer Räume für Treffen gebucht hat und was sich dann tut." Über Telefonketten und andere Kommunikationsmöglichkeiten könnten Rechtsradikale probemlos kurzfristig in großer Zahl an Versammlungsorten auftauchen. Cordes, der für Minden angekündigte Ehrengast, habe bereits in Rinteln erfolgreich die Struktur des Jugendverbandes aufgebaut. In Minden sei er öfter schon gewesen.

Tendenzen, denen das Land laut Verfassungsschutzbereicht gegensteuert: Mit Stolz wird auf das Aussteigerprogramm für Rechtsradikale verwiesen. Arbeitsplatzangebote, Eingliederungsmaßnahmen, Familienzusammenführung und andere Hilfen sollen braune Jungs aus der Szene locken. Bislang waren 76 Aussteiger in das Programm aufgenommen worden. Mehr als 1.000 Mitläufern seien Wege aus der rechten Szene aufgezeigt worden.

NPD-Mitglied auf Stimmenfang

Als vollkommen unberührt von dieser Fürsorge stellt sich jedoch ein ehemaliger Schüler des Ratsgymnasiums im Internet dar, der für die "zahnlosen Tiger" zurzeit am lautesten in Minden aufs Trommelfell pocht. Schon während seiner Haft wegen eines Gewaltdeliktes will er nach eigenen Angaben gegenüber den Avancen des Staatsschutzes Bielefeld resisent geblieben sein. Das NPD-Mitglied setzte jetzt die Absichtserklärung seiner Partei in Umlauf, verstärkt unter Russlanddeutschen Unterstützungsunterschriften für die Landtagswahl sammeln zu wollen. 100 Stück werden für ein Direktmandat auf dem Wahlzettel benötigt. Zudem ist der Ex-Bundeswehrsoldat Urheber eines Flugblatts, das im Februar in und an Mindener Schulen verteilt wurde (MT-Bericht am 2. März).

Nach Einschätzung des Staatsschutzes ist die Zahl der rechtsextremen Straftaten in Ostwestfalen auf niedrigem Niveau gestiegen. Der örtlichen Polizei erscheint Minden im Hinblick auf rechte Delinquenz als ruhiges Pflaster. Eine der Ausnahmen: Im vergangenen Jahr erhielt ein Mitglied des "Darstellungsvereins für lebendige Geschichte" in seinem Domizil an der Wittekindallee Besuch von Ermittlern. Seine Gesinnungsgenossen hatten zuvor in Naziuniformen mit Waffen und Sprengstoff Krieg gespielt.

Behrens rechnet mit wenig Stimmen für NPD

Weniger auffällig gibt sich dagegen ein heimisches Grüppchen mit dem Emblem "Odins Söhne" den Freuden brauner Gruppendynamik hin. Ein Teil macht bei der "Freien Kameradschaft Weserbergland" mit. Dieser Zusammenschluss rekrutiert sich aus dem Mindener und Schaumburger Land. Die "Kameraden" treffen sich unter anderem zum Wehrsport in Barsinghausen und den Externsteinen - Staatsbeamte wachen darüber, dass niemand über die Stränge schlägt.

Potenzial jedenfalls, das ein Mindener Mitglied des Landesvorstandes der NPD seit Jahren "betreut". Beobachter der Szene meinen, dass der Funktionär für den Sicherheitsdienst seiner Partei zuständig sei. Mit seiner Mindener Ordnertruppe wurde er bundesweit bei Kundgebungen gesehen - angefangen von Heß-Gedenkmärschen bis hin zu Protesten gegen die Wehrmachtsausstellung. Als Vorsitzender des NDP-Bezirksverbandes Ostwestfalen/Lippe und des Kreisverbandes Minden-Lübbecke lauert nun auch dieser "zahnlose Tiger" auf seinen Platz im Landesparlament.

Innenminister Behrens meint, dass die NPD trotz ihrer Allianz mit DVU und Neonazis im Mai kaum mehr als ein Prozent der Wählerstimmen erhalten werde. Das Wählerpotenzial für die vom Verfassungsschutz beobachteten Republikaner reichte bereits bei der letzten Kommunalwahl in Minden-Lübbecke aus. Zwei Vertreter dieser Partei sitzen im Kreistag. Und bei der Europawahl vor einem Jahr entfielen in Minden 2,88 Prozent der Stimmen auf rechtsradikale Parteien.

19./20.03.2005
mt@mt-online.de

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