Deister- und Weserzeitung ,
18.03.2005 :
Mit 14 Jahren als "Feldscher" im Einsatz / Dr. vet. Horst Brandes berichtet / Feuertaufe in Hameln beim Angriff auf den Bahnhof
Von Wolfhard F. Truchseß
Hameln. "Seien wir doch mal ehrlich: Das war für uns damals doch ein Abenteuer!" Dr. vet. Horst Brandes, inzwischen 75 Jahre alt, erinnert sich an die letzten Kriegstage in Hameln. 15 Jahre alt wurde er damals am 25. März 1945, dem Tag, als ein kurzer Luftangriff Fabrikanlagen in der Weserstadt zerstörte. Brandes hatte damals eigentlich zum4. Fähnlein des Jungvolks, den Pimpfen, gehört, aber seine Lieblingsbeschäftigung war die Reiterei bei der Hitler-Jugend. Brandes hatte Glück: Er gehörte zu zwei Auserwählten, die einen edlen Rappen reiten durften, den die Nazis von Julius Dietz, dem Chef der Hefe- und Spritwerke, beschlagnahmt hatten. Der zweite Auserwählte war Walter Dietz. Brandes und Walter Dietz sollte eine lebenslange Freundschaft verbinden.
Was Brandes damals ärgerte: Als 14-Jähriger durfte er noch nicht Flakhelfer werden. "Das wäre die Steigerung gewesen", glaubte er damals. Stattdessen wurde er 1944 zum "Feldscher" ausgebildet, laut Lexikon die unterste Stufe der militärärztlichen Hierarchie in früherer Zeit. Es war wohl eher eine Ausbildung zumHilfssanitäter. Und das nicht zum Spaß. Denn tatsächlich kamen die 14-jährigen Burschen nach Luftangriffen zum Einsatz. Ganz konkret erinnert sich Brandes an einen Einsatz am 15. Dezember 1944 in Hannover. Es waren der 99. und der 100. Luftangriff auf die Leine-Metropole.
Den 99. Luftangriff erlebte er am Raschplatz, den 100. in der Feuerhölle an der Hildesheimerstraße, wo es von den brennenden Häusern so heiß war, "dass der Asphalt zu schmelzen begann", wie er sich erinnert. Brandes kannte damals keine Angst, wagte sich todesmutig in ein brennendes Haus und kam nur knapp wieder ins Freie, weil er Wäschestücke auf einem Trockenboden und einen von einem Schutzengel deponierten Eimer mit Wasser fand, in dem er die Wäsche tränkte und, so geschützt, durch das brennende Treppenhaus ins Freie stürzte. Was er damals in dem Haus wollte, kann Brandes sich nicht mehr erklären, denn die Bewohner des Hauses waren alle in Bunkern oder Luftschutzkellern.
Seine "Feuertaufe" in Hameln erlebte der Feldscher Brandes am 14. März nach dem Angriff auf den Hamelner Bahnhof. Wie alle Mitglieder des Jungvolks hatte er sich nach einem Luftangriff vor Ort einzufinden und Hilfe zu leisten. Auch daran kann er sich noch genau erinnern: "Ich musste eine Frau versorgen, der bei dem Luftangriff der Unterschenkel weggerissen wordenwar." Das Schreckliche der Verwundung sei ihm gar nicht bewusst geworden, "eher die Peinlichkeit, als knapp 15-Jähriger am Oberschenkel einer erwachsenen Frau herumzudoktern". Um die Toten hätten sich andere gekümmert. Brandes und die Feldschere hatten für Verbandszeug zu sorgen. "Wir hatten doch fast nichts." Aber es habe Hilfe von vielen Menschen gegeben. Die Apotheken hätten Verbandsmaterial geliefert und viele Privatleute auch. Eines habe es damals auch nicht gegeben: Hilfe, um das Erlebte zu verarbeiten.
Von einem "schauerlichen Erlebnis" berichtet der damals neunjährige Claus Matthias, der 1945 als freiwilliger Pimpf dem Jungvolk, der Kinderorganisation der Nazis, beigetreten war. Claus Matthias wurde "Volkssturmhelfer" und kam beim Bau einer Panzersperre am Gut Helpensen zum Einsatz, was er damals "sehr spannend" fand. Wie schlecht die Volkssturmmänner ausgebildet waren, erwies sich beim Vorrücken der Amerikaner gegen besagte Panzersperre. Einer der Volkssturmleute feuerte eine Panzerfaust ab, weil aber einer seiner Mitkämpfer hinter dem Abschussrohr stand, wurde dieser bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.
Lesen Sie morgen: Die Lage im Zuchthaus
redaktion@dewezet.de
|