Deister- und Weserzeitung ,
18.03.2005 :
Die schwierige Suche nach den Opfern des Angriffs / Lapidare Mitteilung der Polizei: "Gestern haben wir unter den Toten den Soldaten Helmut R. festgestellt und eingesargt"
Von Bernhard Gelderblom
Hameln. Nach dem schweren Bombenangriff am 14. März 1945 auf den Hamelner Bahnhof war es schwierig und langwierig, die rund 200 Opfer zu identifizieren. Der folgende Bericht stammt aus Aufzeichnungen von Heinrich Kranz, damals pensionierter Studienrat für Mathematik, Biologie und Physik am Lyzeum für Mädchen:
"Am 17. Dezember 1944 war unser Freund Hermann R. auf der Durchreise nach Warstein bei uns in Hameln gewesen, um seinen Sohn Helmut, der dort als Verwundeter im Lazarett lag, zu besuchen. Anfang März 1945 war seine Beinverletzung ausgeheilt, Helmut wurde k.v. (kriegsverwendungsfähig) geschrieben, aus dem Lazarett entlassen und sollte nun zurück an die Front. Am späten Abend des 13. März kam Helmut zu uns nach Hameln, um bei uns zu übernachten und am nächsten Tage weiterzufahren. Es kam leider ganz anders.
Am Mittwoch, 14. März, brachten Hilde und Gisela den lebensfrohen 20-jährigen Jungen zum Bahnhof und verabschiedeten sich dort von ihm, weil Bahnsteigkarten seit einiger Zeit nicht mehr ausgegeben wurden. Wir nahmen an, dass der Zug um 13.34 Uhr planmäßig abfahren würde. Guste und ich gingen zum Garten. Gegen 15 Uhr setzte Großalarm ein. Wir suchten Schutz im Gartenhaus und im ausgeworfenen Erdbunker.
Bald nach 16 Uhr schienen alle Kampfflugzeuge Hameln in westlicher Richtungüberflogen zu haben. Ein übervoll besetzter Zug, der während der Alarmzeit im Klüttunnel Schutz gesucht hatte, kam langsam zurückgerollt. Als dieser Zug in der Höhe des Bahnhofs sein mochte, sahen wir, dass von Osten her sich noch einige Kampfflugzeuge dem Bahnhof näherten. Plötzlich hörten wir schwere Detonationen, und im nächsten Augenblick war das Bahnhofsgebäude durch eine dichte Rauchwolke verhüllt. Schnell verließen wir den Garten und eilten nach Hause. Als wir auf dem Wilhelmsplatz waren, kamen dort bereits die ersten Wagen mit Verwundeten vom Bahnhof an. Erschüttert standen wir bis zum späten Abend am Fenster. Andauernd fuhren Wagen mit Schwerverletzten vorbei.
Wir dachten, Helmut sei längst in Hannover, und ahnten nicht, dass die Züge große Verspätung gehabt hatten und während der Katastrophe noch am Bahnhof waren. Als Herr R. in später Nacht im Luftschutzkeller diese Vermutung aussprach, wurden wir dadurch sehr beunruhigt. In aller Frühe eilte ich zum Bahnhof, um Erkundigungen einzuziehen. Hier hörte ich zu meinem Schrecken, dass gerade der Zug, mit dem Helmut hatte fahren wollen, besonders viele Tote und Verletzte gehabt hatte. Ich suchte sofort die Lazarette und Krankenhäuser auf. Jedes Mal, wenn es nach Durchsicht der Einlieferungslisten hieß: "Ein Soldat Helmut R. ist nicht dabei", atmete ich erleichtert auf.
Besonders schwer waren meine Gänge zur Kriminalpolizei, die die zum Friedhof Wehl gebrachten Toten zu identifizieren und die Totenlisten aufzustellen hatte. Wenn ich dann die Antwort erhielt: "Bis jetzt ist unter den Toten noch kein Helmut R. dabei", dann steigerte sich immer wieder meine Hoffnung, dass er mit anderen Kameraden gerettet und mit diesen zur Weiterfahrt zum Bahnhof Hasperde gegangen sei. Ein Telephon-Gespräch mit den Eltern schien mir verfrüht zu sein. Ich musste damit rechnen, dass Helmut infolge der vielen zerstörten Bahnstrecken mehrere Tage brauchen würde, um nach A. zu gelangen, und wollte die Eltern nicht in Aufregung versetzen.
Am 17. März fragte ich wiederum wie in den Tagen zuvor frühmorgens bei der Kriminalpolizei an. Diesmal erhielt ich die so sehr gefürchtete schmerzliche Antwort: "Gestern haben wir unter den Toten den Soldaten Helmut R. aus A. festgestellt und eingesargt. Er hat vermutlich einen schnellen Tod gefunden, denn es war nur eine kleine Kopfverletzung festzustellen." So war nun der liebe Junge, der seinen Eltern stets ein fleißiger und sehr geschickter Helfer gewesen war, allzu früh aus dem Leben gerissen.
Nun galt es, die armen Eltern zu benachrichtigen. Aber wie? Auf Telephon-Anschluss konnte man in jenen Tagen oft stunden-, ja tagelang vergeblich warten. Telegramme waren oft tagelang unterwegs, bevor sie ihr Ziel erreichten. Ich schickte ein Telegramm an Fritz K., einen ausführlichen Brief an die Eltern und ließ durch Frau B. ein Telephon-Gespräch mit ihrem Schwager R., dem Nachbarn von R., anmelden."
So weit der Bericht von Heinrich Kranz. Zu den Opfern des Angriffs auf den Bahnhof gehörte auch der aus Kleinenberg bei Bad Pyrmont stammende Kurt Dunsing. Er war leicht gehbehindert und war deshalb nicht wie seine Arbeitskollegen mit dem Fahrrad nach Hameln unterwegs, sondern hatte wie immer den Zug genommen. Es sollte seine letzte Fahrt werden. Kurt Dunsing kam im Bombenhagel aufden Bahnhof ums Leben. Sein Leichnam wurde erst am 29. Mai 1945 zusammen mit zwei Toten aus Tündern gefunden und identifiziert.
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