WebWecker Bielefeld ,
16.03.2005 :
Weiter geduldet in Ketten
Das neue Zuwandererungsgesetz sei modern und besser als die alten Gesetze. Diese Sicht verkauft die Bundesregierung bis heute. Doch diejenigen, die täglich mit dem vor gut zwei Monaten in Kraft getretenen Gesetz umgehen müssen, sehen dies anders: In vielen Punkten sei es sogar eine Verschlechterung gegenüber den alten Gesetzen.
Von Manfred Horn
"Das Gesetz hat viele Lücken. Die vorherigen Gesetze waren sogar besser", erklärt Kathrin Dallwitz vom Bielefelder Flüchtlingsrat. Der hatte am Montag ins Internationale Begegnungszentrum (IBZ) eingeladen, um über "Dichtung und Wahrheit" des Gesetzes zu informieren. Dallwitz, die täglich Flüchtlinge berät, die um ihren Aufenthaltsstatus bangen müssen, sprach bei der mit rund 70 TeilnehmerInnen gut besuchten Veranstaltung von "strukturellem Rassismus" und einer "Politik der Auslese".
Ein wesentlicher Kritikpunkt sind die Duldungen. In dem neuen Gesetz, das beansprucht, sowohl die Arbeitsimigration, den humanitären Schutz wie auch die Integration hier lebender MigrantInnen zu regeln, gibt es dazu einen entscheidenen Paragraphen, um den sich im Moment die Debatte dreht: Im Paragraphen 25, Absatz 5, heißt es: "Einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, kann abweichend von § 11 Abs. 1 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Aufenthaltserlaubnis soll erteilt werden, wenn die Abschiebung seit achtzehn Monaten ausgesetzt ist. Eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht, oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt."
Kettenduldungen gehen weiter
In der Diskussion um das neue Zuwanderungsgesetz hatten Flüchtlingsinitiativen in den vergangenen Jahren immer wieder auf die menschenunwürdigen Kettenduldungen aufmerksam gemacht. Rund 250.000 Menschen leben in Deutschland mit einer Duldung, 150.000 von ihnen schon länger als fünf Jahre. Duldungen sind keine Aufenthaltstitel, vielmehr Bescheinigungen über die Aussetzung der Abschiebung. Die Betroffenen haben im Asylverfahren kein Recht bekommen, dürfen aber bleiben, weil der Staat keine Abschiebemöglichkeit sieht, sei es weil der Herkunftsstaat die Betroffenen nicht aufnehmen will, dort Krieg herrscht oder die betreffenden Personen krank sind. Die rot-grüne Regierungskoaliton in Berlin beschwor noch im vergangenen Jahr das Ende der sogenannten Kettenduldungen: Ein Zustand, den viele Flüchtlinge ertragen müssen. Dabei wird ihre Duldung immer nur für einen kurzen Zeitraum ausgesprochen, in der Regel drei Monate. Und selbst in dieser Zeit gibt es keinen Abschiebeschutz. Die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen beschloss noch im November 2003: "Der unwürdige Zustand langjähriger Kettenduldungen muss ein Ende haben." Bundesinnenminister Otto Schily erklärte im Mai 2004: "Im humanitären Bereich werden Kettenduldungen abgeschafft."
Doch entgegen der politischen Ankündigungen sind die Duldungen nicht abgeschafft. "Die Rechte von seit langem hier lebenden Menschen sind im Gegenteil im neuen Gesetz ausgeklammert", meint Kathrin Dallwitz. Sie fordert wie andere auch, dass diejenigen, die bisher nur geduldet waren, einen dauerhaften Aufenthaltsstatus bekommen. Geduldete können nach dem neuen Gesetz nach 18 Monaten prüfen lassen, ob sie nicht doch einen gesicherten Aufenthaltstitel bekommen. Scheitern sie damit, bleiben sie beim Status des Geduldeten. Dallwitz sieht hier eine politisch gewollte Trennung zwischen Menschen, die der Staat hier will und die entsprechende Rechte bekommen und denjenigen, die nahezu rechtlos sind.
Wer seine Identität nicht preisgibt, bekommt keine Arbeitserlaubnis
Die Anwältin Catrin Hirte-Piel unterstreicht dies: Mit dem neuen Zuwanderungsgesetz ist nicht mehr die Agentur für Arbeit für die Erteilung einer Arbeitsgenehmigung für Geduldete zuständig. Vielmehr entscheidet nun die Ausländerbehörde. Die prüft, ob damit einem Deutschen der Arbeitsplatz weggenommen werden könnte und erteilt auch Erwerbsverbote für diejenigen, die bei ihrer Einreise eine falsche Identität angegeben haben. In die Duldung kommt dann auch ein Stempel, der besagt, dass keine Ansprüche nach SGB II bestehen. Dies bedeutet konkret keine Ansprüche auf das Arbeitslosengeld II. Diejenigen, die vorher jahrelang als Geduldete sozialversicherungspflichtig gearbeitet haben, haben noch nicht einmal mehr Anspruch auf das Arbeitslosengeld I, wenn ihnen das Ausländeramt künftig Erwerbstätigkeit untersagt. Sie erhalten dann Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die 25 Prozent unter dem Sozialhilfesatz liegen. "Das sind 75 Prozent von einem angeblichen Leben in Würde, ein unhaltbarer Zustand", erklärt Frank Gockel vom Flüchtlingsrat NRW.
Gockel fehlt in dem Gesetzestext vor allem ein Wort: "zumutbar". Die bisherige Sprachregelung des Paragraphen 25 – "eine Aufenthaltserlaubnis darf nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist" – führt im Gegenteil dazu, dass die Zumutbarkeit meistens gar nicht erst geprüft wird. Für Gockel eine entscheidende Frage: "Ist die Ausreise überhaupt zumutbar?"
Zumutbarkeit kein Kriterium
Das Land Hessen beispielsweise prüft die Zumutbarkeit erst gar nicht, ihm reicht es, dass die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise besteht, nicht aber "ob diese – subjektiv – zumutbar sind". Dies hat das hessische Innenministerium in seinen Anwendungshinweisen für Paragraph 25, Abs 5 klargestellt. Das Land NRW prüft zwar die Zumutbarkeit, reduziert diese jedoch auf die Frage, ob eine Ausreise wegen "aus schwerwiegenden krankheitsbedingten Gründen unzumutbar" sei. "Sonstige Gesichtspunkte ( … ) (z.B. lange Aufenthaltszeiten im Bundesgebiet, Gesichtspunkte 'faktischer' Integration aufgrund der Aufenthaltsdauer) ( … ) müssen dagegen unberücksichtigt bleiben", heißt es in der Erlass des NRW-Innenministeriums vom 28. Februar weiter. Die Bundesregierung hatte in der Begründung zum neuen Zuwanderungsgesetz noch geschrieben: "Durch die Anwendung der Regelung soll sichergestellt werden, das die Praxis der Kettenduldung beendet wird. Ein positiver Ermessensgebrauch wird jedenfalls für Minderjährige und für seit längerem in Deutschland sich aufhaltende Ausländer geboten sein." In der Praxis schließen dies zur Zeit aber alle Bundesländer außer Rheinland-Pfalz durch entsprechende Erlasse aus.
Der Erlass des NRW-Innenministeriums zu den Duldungen drückt auch auf die kommunalen Ausländerämter. Die werden diesen Druck entweder gar nicht wahrnehmen, weil sie sowieso schon immer schnell mit Abschiebungen bei der Sache waren, oder aber resignieren. Denn der Erlass zu lässt den Ämtern keinen Spielraum mehr. Hoffnung sieht die Anwältin Hirte-Piel dennoch. Denn das neue Zuwanderungsgesetz brachte eine weitere Veränderung: In Rechtsverfahren sind nicht mehr nur die Verwaltungsgerichte, sondern nun auch Sozialgerichte zuständig. "Da besteht die Hoffnung, dass sie sich mehr mit den Menschen auseinandersetzen", sagt Hirte-Piel und nennt auch ein aktuelles Beispiel: Das Sozialgericht Braunschweig sprach einer Familie Analogleistungen zum SGB XII zu. Sie erhält nun den Regelsatz der Sozialhilfe und nicht 75 Prozent davon, weil es laut Gericht humanitäre Gründe gebe, die eine Ausreise verhinderten. Das Gericht erklärte damit eine Ausreise in den Kosovo schlicht für nicht zumutbar, entsprechend müssten die Leistungen angepasst werden. Denn das Zuwanderungsgesetz sieht auch vor, dass wer mehr als drei Jahre als Geduldeter in Deutschland lebt, Anspruch auf den Regelsatz der Sozialhilfe hat.
Gockel kennt eine Familie, die bereits seit 18 Jahren mit einer Duldung in Deutschland lebt. Immer wieder muss sie diese verlängern lassen, nie kann sie sicher sein, hier bleiben zu können. "Es fehlt eine Altfallregelung", sagt Gockel. Es müsse eine Regelung geben, die besagt, dass wer eine bestimmte Anzahl von Jahren hier lebt, einen dauerhaften Aufenthaltsstatus bekomme. Kein Weg aus der Sackgasse sind für ihn Härtefallkommissionen: Nach dem Zuwanderungsgesetz können Länder solche einrichten, in NRW gab es die auch schon vorher. Doch die Kommissionen arbeiten ehrenamtlich, treffen sich entsprechend nur alle zwei Wochen für wenige Stunden. Sie sind nicht in der Lage, die Berge von Anträgen zu bearbeiten. Bis Ende Februar sollen bereits 6.000 Anträge von Flüchtlingen eingegangen sein, die Kommission schafft pro Sitzung aber nur fünf bis zehn Fälle. Die Folge: Die meisten Anträge werden in einer Vorprüfung, die nur wenige Sekunden dauert, erst gar nicht angenommen.
Weitere Informationen beim Bielefelder Flüchtlingsrat im IBZ, Teutoburger Straße. Telefon 0521/60574, dort offene Beratung montags 10 bis 12 Uhr, donnerstags 14 – 16 Uhr, freitags 10 bis 12 Uhr.
Der Flüchtlingsrat hat Forderungen an die NRW-Landesregierung formuliert. Darin spricht er sich unter anderem für ein Ende der Kettenduldungen aus. Diese Forderungen können beim Flüchtlingsrat eingesehen und unterschrieben werden.
Weitere Informationen im Netz: www.fluechtlingsrat-nrw.de
webwecker@aulbi.de
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