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Paderborner Kreiszeitung / Neue Westfälische ,
12.03.2005 :
"Uns passiert schon nichts!" / Karl-Jürgen Auffenberg erinnert sich an seine Kindheit während des Krieges
Von Jutta Steinmetz
Paderborn. "Angst hatte ich eigentlich nur, wenn die Erwachsenen Angst zeigten." Obschon Karl-Jürgen Auffenberg im März 1945 nicht ganz neun Jahre alt war, kann er sich gut an die Zeit erinnern, als über Paderborn die Bomben niedergingen: Denn selbst Kinderleben blieben vom Krieg nicht unberührt.
Erlebt hat Auffenberg die Angriffe der alliierten Flieger im Keller seines Elternhauses in der Fechtelerstraße 24. "Ich sah das eigentlich relativ gelassen", schildert der jetzt 68-Jährige seine Gefühle als kleiner Junge, wenn die Sirenen heulten und man wieder hinunter musste. Doch brach bei den acht bis zehn Erwachsenen, die sich aus der Nachbarschaft im Auffenbergschen Keller zusammenfanden, die "Panik aus", dann kriegte auch der kleine Junge, der sich auf Weisung der Mutter stets ein dickes Kissen auf den Kopf legte ("Eher mit psychologischer Wirkung als zum Schutz!") reichlich Angst. Vor allem der Angriff vom 17. Januar 1945 ist dem Paderborner im Gedächtnis geblieben. Da musste nämlich der Achtjährige mit seinem kleinen Bruder allein zu den Nachbarn in den Keller. Die Mutter, von einer schweren Lungenentzündung geschwächt, blieb unterstützt von der Tante oben im Haus in ihrem Bett. "Der Keller schwankte wie ein Schiff", schildert er. Aus gutem Grund - eine Bombe war direkt im eigenen Garten eingeschlagen und hatte einen gewaltigen Trichter geschlagen.
Doch auch außerhalb der Keller war von einem normalen Kinderleben kaum eine Spur. Der Krieg gab ganz klar den Ton an. So wurden die Schulbesuche im Verlauf des Jahres 1945 - insbesondere nach dem verheerenden Angriff vom 17. Januar - immer seltener. Nur hier und da wurde noch zum Unterricht geladen. Im Februar und März habe so gut wie gar kein Unterricht stattgefunden, erinnert sich der 68-Jährige.
Der Krieg hält Einzug ins Schülerleben
Doch schon 1943/44 hatte auch der Krieg Einzug ins Schülerleben gehalten. "Sensationell" sei es gewesen, als die Amerikaner Stanniolstreifen abwarfen, um den deutschen Radar zu überlisten. Dann hieß es nämlich für die Schulkinder: "Auf zum Sammeln". "Und das taten wir auch wie die Weltmeister", meint Auffenberg und erinnert sich weiter: "Nach Angriffen wurden wir von den Lehrern dazu vergattert, Bombensplitter aufzusuchen." Die wurden dann in der Rohproduktenhandlung zur Wiederverwertung abgegeben. Und wenn ganze Schulen auf Geheiß der Lehrer ausschwärmten, um Kartoffelkäfer aufzusammeln, von denen es hieß, dass sie von feindlichen Flugzeugen zwecks Zerstörung der Ernte abgeworfen würden, dann sei man als Kind stolz gewesen. "Da kamen wir uns enorm kriegswichtig vor", sinniert Auffenberg. "So wurden wir manipuliert."
"Wir haben die Zeit mehr oder weniger ahnungslos durchlebt", meint er. Die großen politischen oder militärischen Zusammenhänge habe man nicht erkannt. Alles was passierte, "sah man als mehr oder minder als höhere Gewalt an", erinnert er sich. "Der Gefahr war man sich schon bewusst. Man dachte aber, 'Paderborn ist doch nicht wichtig!'" Gemäß dem Motto "Uns passiert schon nichts" hätten sich die Paderborner um Normalität bemüht.
Ein Bemühen, das auf den ersten Blick erfolgreich war. Denn "es funktionierte relativ viel", meint Karl-Jürgen Auffenberg in der Rückschau. Und erinnert sich an die Lebensmittel, die es zwar nur auf Karte, aber immerhin dennoch gab, an die Post ("Mutter bekam Briefe von Vater, der an der Ostfront war.") oder auch den Zug, der Anfang 1945 die Tante aus Celle herbeibrachte. "Sie brauchte etwa zwei Tage. Aber es klappte", berichtet Auffenberg.
"Eine ganz neue Erfahrung, dass ein Mensch plötzlich weg war"
Mit einem unbeschwerten Kinderleben hatte das recht wenig zu tun. Die Bombenangriffe trugen den Tod in die Stadt - und berührten so auch den Achtjährigen. Noch heute denkt Karl-Jürgen Auffenberg an den Nachbarn, der am 17. Januar unter den Bomben starb. "Ich hatte ihn morgens noch aus dem Haus gehen sehen", erinnert er sich nachdenklich. "Das war eine ganz neue Erfahrung, dass ein Mensch plötzlich weg war, von einer Sekunde zur nächsten", schildert er seine Empfindungen. Bedrückende Erfahrungen, die er am 27. März erneut machen musste. Fünf Verwandte kamen in der Liboristraße beim Angriff am 27. März 1945 ums Leben, darunter die Großeltern des Jungen, die gerade ihre Abreise zu einem sicheren Quartier auf dem Lande vorbereitetet hatten und nur noch diesen einen Angriff in ihrem Haus abwarten wollten.
12./13.03.2005
lok-red.paderborn@neue-westfaelische.de
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