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Lippische Landes-Zeitung ,
28.07.1993 :
Neue Heimat Detmold / Nihat Basokur, Tischler / "Hass hat unvorstellbare Dimensionen angenommen" / "Wir Türken sind immer ganz unten"
Detmold (mmh). Nihat Basokur (33) ist Türke und lebt seit fast 20 Jahren in der Bundesrepublik. Er ist Tischler und seit einigen Jahren auch Betriebsrat in einem großen Spanplattenwerk. Er bezeichnet es als "regelrechten Fluch, als Türke geboren worden zu sein". Nachdem mehrere seiner Landsleute in Mölln und Solingen ermordet wurden und man seinen siebenjährigen Sohn vor kurzem auf der Straße in Detmold übel beschimpft hat, ist Nihat Basokur sicher, "dass der Ausländerhass unvorstellbare Dimensionen angenommen hat".
Wie er im Gespräch mit der LZ sagt, brauchen sich die Rechtsradikalen heute nicht mehr zu verstecken. Im Gegenteil: "Sie treten ganz hemmungslos auf, beschimpfen und beleidigen uns." Nihat Basokur kennt auch noch andere Zeiten. Er ist in Detmold zur Schule gegangen. "Natürlich haben wir uns auch gestritten. Damals ging es aber nicht um irgendeine Nationalität, sondern um eine Coladose, um damit auf dem Schulhof Fußball zu spielen." Er, Nihat Basokur, hat sich in den letzten Jahren nicht verändert. Jedenfalls nicht zu seinem Nachteil. "Ich bin noch perfekter geworden, habe versucht, mich noch mehr anzupassen", sagt er.
Was den gelernten Tischler und Gewerkschafter besonders traurig macht: "Wir zählen für keinen. Für die Türkei sind wir Devisenbringer, für die Deutschen nur die 'Scheiß-Ausländer'." In den letzten Jahren habe es weder hier noch in dem Land seiner Väter eine Gesetzesänderung gegeben, über die man sich hätte freuen können.
Vor nicht allzu langer Zeit habe man die gesunden Männer aus der Türkei als billige Arbeitskräfte in die Bundesrepublik geholt. "Um ihre Familien hat sich niemand gekümmert." Nihat Basokur vertritt die Auffassung, dass sich der Ausländerhass vorwiegend gegen türkische Kinder, Frauen und Männer richte. "Wir sitzen in einem Boot ohne Steuer. Jeder kann uns hin- und herschaukeln, uns ausbeuten", stellt der 33-Jährige verbittert fest. Nihat Basokur weiß, wovon er spricht: Er begleitet Landsleute bei Behördengängen, ist als Dolmetscher bei Gericht zugelassen, spürt oft genug, "dass wir immer ganz unten sind".
Manchmal wache er nachts auf, sehe nach, ob seine Aufenthaltsgenehmigung noch gültig ist: "Kommst du einen Tag zu spät, dann sind die 20 Jahre davor auf einen Schlag vergessen, und du kannst gehen." Nihat Basokur weiter: "Die meisten Deutschen machen sich kaum Gedanken über uns. Sie wissen nicht, was wir alles machen müssen, um hier zurechtzukommen." Obwohl er die Bilder der brennenden Häuser und der trauernden Menschen in Mölln und Solingen nicht mehr vergessen kann, will er hierbleiben. Im Land seiner Väter fühlt sich Nihat Basokur noch fremder als in Deutschland.
Er appelliert an die Menschen, wieder aufeinander zuzugehen, toleranter, menschlicher zu sein. Nihat Basokur bedauert, dass viele Türken sich distanzieren, sich in die Moscheen zurückziehen. Wie er in dem feindlichen Klima zurechtkommt? Der 33-Jährige tröstet sich immer wieder mit dem Satz: "Die schönen Tage sind nicht weit." Und hofft von Herzen, dass es stimmt.
Detmold@lz-online.de
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