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Deutscher Bundestag , 12.04.1995 :

Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Annelie Buntenbach und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen - Drucksachen 13/871: Fortführung der "Nationalistischen Front" nach dem Verbot des Bundesministers des Innern im November 1992

Im November 1992 wurde die "Nationalistische Front" (NF) vom Bundesminister des Innern verboten. Die Wirkung dieses Verbots wurde in der Öffentlichkeit schon zu diesem Zeitpunkt als zweifelhaft eingeschätzt. Weder die bundesweiten Vorfeldorganisationen der NF, der "Förderkreis Junges Deutschland" und der "Jungsturm" wurden verboten, noch die im Sommer 1992 abgespaltene Gruppe um die NF-Führungskader Andreas Pohl und Steffen Hupka. Sowohl der als Hauptfinanzquelle der NF geltende "Klartextverlag" als auch das organisatorische Zentrum, das Bundeszentrum der NF in Pivitsheide bei Detmold, blieben bestehen. Mehrfach sind Pivitsheider Bürger auch nach dem November 1992 direkt aus dem Bundeszentrum der NF heraus bedroht und tätlich angegriffen worden. Der ehemalige Anführer der NF, Meinolf Schönborn, gründete in Folge die "Propagandaverteilerkreise", die von ihm so benannte "Gemeinschaft" und konstatierte mehrfach in seinen Publikationen die Fortführung der politischen Tätigkeit. Den Versand von einschlägigem Propagandamaterial organisierte er zuletzt aus dem benachbarten Ausland heraus.

1. Wie bewertet die Bundesregierung den Erfolg des NF-Verbots?

Durch das Verbot wurden die organisatorischen Strukturen der NF zerschlagen.

2. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eine Fortführung der NF?

Der Bundesregierung liegen Erkenntnisse vor, wonach in neun Fällen Ermittlungsverfahren in den Bundesländern gemäß § 20 Vereinsgesetz geführt wurden bzw. werden.

Am 21. November 1994 wurde Meinolf Schönborn aufgrund eines Haftbefehls des Landgerichts Dortmund unter dem Verdacht der Fortführung einer verbotenen Organisation sowie der Verbreitung verfassungsfeindlicher Propaganda in Gütersloh festgenommen. Der Haftbefehl ist mittlerweile unter Auflagen außer Vollzug gesetzt worden. Schönborn und zwei ehemaligen Mitgliedern des damaligen Bundesvorstandes der NF wird vorgeworfen, den Versandhandel "Klartext-Verlag", bei dem es sich um eine Teilorganisation der NF handelt und der ebenfalls von der Verbotsverfügung erfasst wurde, zunächst unter der Bezeichnung "Versandhandel Meinolf Schönborn", sodann unter der Bezeichnung "Klartext-Verlag" und schließlich, seit etwa November 1993, unter der Firmenbezeichnung "Deutscher Spielwarenversand" (DSV) weiterbetrieben zu haben. Das Ermittlungsverfahren dauert an.

3. Wie bewertet die Bundesregierung die politische Tätigkeit Meinolf Schönborns in Polen, Dänemark und Österreich und ihre entsprechenden Auswirkungen für die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf eine mögliche Fortführung der NF?

Die Bundesregierung verfolgt die Verlagerung der Aktivitäten deutscher Rechtsextremisten ins Ausland mit Sorge. Dies betrifft z.B. die Einschleusung von Propagandamaterial von dort nach Deutschland. Die Zusammenarbeit der europäischen Sicherheitsbehörden wurde im Hinblick hierauf verstärkt. Die
Bundesregierung strebt die strafrechtliche Sanktionierung dieser Aktivitäten auch in den betroffenen ausländischen Staaten an.

4. Welche politischen Tätigkeiten entwickelten die bis November 1992 an der NF beteiligten Führungskader nach dem Verbot?

Ehemalige Führungskader der verbotenen NF engagieren sich z.T. in anderen rechtsextremistischen Organisationen. Weitere Aktivitäten ehemaliger Führungskader sind der Aufbau sog. Propagandaverteilerstellen und die Fördeurng von Bestrebungen einer organisationsübergreifenden Vernetzung der rechten Szene.

5. Welche politischen Tätigkeiten entwickelte die Gruppe um die ehemaligen Führungskader der NF, Steffen Hupka und Andreas Pohl?

Die Gruppe um Andreas Pohl und Steffen Hupka engagiert sich in den von Andreas Pohl und Steffen Hupka betriebenen Organisationen "Sozialrevolutionäre Arbeiterfront" (SrA) und "Förderwerk Mitteldeutsche Jugend" (FMJ)/"Direkte
Aktion/Mitteldeutschland" (JF).

6. Welche Funktion hat das Bundeszentrum der NF in Pivitsheide nach dem Verbot für die ehemaligen Mitglieder und Sympathisanten der NF?

7. Haben in dem Bundeszentrum der NF in Pivitsheide nach dem Verbot der NF im November 1992 Versammlungen stattgefunden?
a) Wenn ja, wie hoch war die Zahl der an diesen Treffen beteiligten Personen?
b) Wenn ja, welchen Charakter hatten diese Treffen, und wie viele haben nach dem Verbot der NF dort stattgefunden?

Das ehemalige NF-Zentrum in Detmold-Pivitsheide dient Schönborn für gelegentliche Veranstaltungen seiner Anhängerschaft. Er versucht dadurch, die Kontakte zu seinen Gesinnungsgenossen aufrechtzuerhalten bzw. zu intensivieren.

8. Über wie viele Gruppen mit wie vielen Aktivisten verfügen die von Meinolf Schönborn initiierten "Propagandaverteilerkreise", und wie hoch ist der Anteil ehemaliger Mitglieder und Sympathisanten der NF?

Angaben hierzu können im Rahmen einer Kleinen Anfrage wegen des gebotenen Geheimhaltungsschutzes nicht gemacht werden.

9. Woher beziehen die "Propagandaverteilerkreise" die zu verteilenden Propagandaschriften?

Die "Propagandaverteilerkreise" (PVK) beziehen ihr Propagandamaterial (hauptsächlich Aufkleber, Flugblätter und Plakate) vom Verlag- und Versandhandel des Meinolf Schönborn.

10. Welche Kontaktadresse(n) werden für die "Propagandaverteilerkreise" angegeben?

Auf Flugblättern und Aufklebern der PVK bzw. der Aktion "Deutschland uns Deutschen" wurden als Kontaktadressen das ehemalige NF-Zentrum in Detmold-Pivitsheide sowie je ein Postfach in Bremen und Nürnberg angegeben.

11. Welche Ziele vertreten die "Propagandaverteilerkreise"?

Die PVK bezwecken die Verbreitung von rechtsextremistischem Propagandamaterial.

12. Wie bewertet die Bundesregierung die Organisationsstruktur und die politische Tätigkeit der "Propagandaverteilerkreise" im Hinblick auf eine mögliche
Fortführung der NF?

Das Konzept der PVK als kleine, unabhängig voneinander operierende Zellen soll die Verbreitung rechtsextremistischen Propagandamaterials unter den Bedingungen staatlicher Verfolgung gewährleisten. Aus dieser Zielsetzung der PVK lässt sich eine konkrete Fortführung der verbotenen NF nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes nicht ableiten.

13. Wie viele Mitglieder hat der "Förderkreis Junges Deutschland", und wie verlief die Mitgliederentwicklung seit dem Verbot der NF im November 1992?

14. Welche Kontaktadresse wird für den "Förderkreis Junges Deutschland" angegeben?

15. Welche Verbindungen existieren zwischen dem "Förderkreis Junges Deutschland" und den "Propagandaverteilerkreisen"?

16. Welche Ziele vertritt der "Förderkreis Junges Deutschland"?

17. Inwieweit ist der "Förderkreis Junges Deutschland" als Vorfeldorganisation der ehemaligen NF geeignet, den ehemaligen Mitgliedern und Sympathisanten der NF als Auffang- und Nachfolgeorganisation zu dienen, und inwieweit setzen sie ihre politische Tätigkeit in diesem Rahmen fort?

Der "Förderkreis Junges Deutschland" wurde 1982 von der Jugendorganisation der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD), den "Jungen Nationaldemokraten" (JN), Ostwestfalen, gegründet. Der "Förderkreis Junges Deutschland" wollte gegen den "Kommunismus" und für eine "Neugestaltung Deutschlands" kämpfen. Verantwortlich zeichnete seinerzeit der spätere NF-Vorsitzende Meinolf Schönborn. Erkenntnisse über den "Förderkreis Junges Deutschland" als "Vorfeldorganisation" der NF liegen nicht vor.

18. Wie viele Mitglieder hat der "Jungsturm", und wie verlief die Mitgliederentwicklung seit dem Verbot der NF im November 1992?

19. Welche Kontaktadresse wird für den Jungsturm angegeben?

20. Ist es richtig, daß der Jungsturm das Zeichen der NF bis 1992 in seinem Emblem führte und dieses Zeichen nach dem Verbot der NF durch eine Odalsrune ersetzt hat?

21. Inwieweit ist der "Jungsturm" als Vorfeldorganisation der ehemaligen NF geeignet, den ehemaligen Mitgliedern und Sympathisanten als Auffang- und Nachfolgeorganisation zu dienen, und inwieweit setzen sie ihre politische Tätigkeit in diesem Rahmen fort?

Für die Aktionsgemeinschaft "Jungsturm Deutschland" wurde Anfang 1990 im Propagandamaterial der NF geworben. Laut Werbematerial soll die Mitgliedschaft im "Jungsturm Deutschland" ab einem Alter von 14 Jahren möglich sein. Nach vorliegenden Erkenntnissen verwendet der "Jungsturm Deutschland" als Emblem einen Reichsadler mit Totenkopf und Kreuz. Es ist nicht bekannt, dass der "Jungsturm Deutschland" nach dem NF-Verbot noch aktiv ist.

22. Über wie viele Gruppen und wie viele Aktivisten verfügt die von Meinolf Schönborn als "Gemeinschaft" bezeichnete Gruppierung?

23. Wie bewertet die Bundesregierung die Organisationsstruktur und die politische Tätigkeit der "Gemeinschaft" im Hinblick auf eine mögliche Fortführung der NF?

Über eine von Schönborn als "Gemeinschaft" bezeichnete Gruppierung liegen den Verfassungsschutzbehörden keine Erkenntnisse vor.

Die Antwort wurde namens der Bundesregierung mit Schreiben des Bundesministeriums des Innern vom 10. April 1995 übermittelt. Die Drucksache enthält zusätzlich - in kleinerer Schrifttype - den Fragetext.


mail@bundestag.de

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