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Schaumburger Zeitung , 01.03.2005 :

Ein "Kampf der Kulturen" wird nicht stattfinden / Oberst Roland Kaestner aus der "Denkfabrik" der Bundeswehr macht sich Gedanken über Krieg im 21. Jahrhundert

Bückeburg (ly). Irgendwann in der Steinzeit. Einer unserer Vorfahren sucht ein Quartier und stößt auf eine Höhle. Die entscheidende Frage: Hat sich bereits ein Bär eingenistet? "Dies wäre das Ende der Träume von Sicherheit", sagt Roland Kaestner. "Auch der Steinzeitmensch musste also in die Zukunft schauen."

Kaestner, Oberst im Generalstab, muss noch viel weiter vorausblicken - Jahrzehnte. Es geht zudem um die Sicherheit ganz Deutschlands. Für strategische Zukunftsanalysen hat die Bundeswehr extra eine "Denkfabrik" eingerichtet, das Zentrum für Transformation im Oberbergischen Kreis, wo Kaestner Bereichleiter ist. Seine Erkenntnisse stützen sich auch auf globale Trends, die in die Zukunft verlaufen. Eine davon: Es wird keinen "Kampf der Kulturen" geben.

"Wir glauben nicht, dass die Auseinandersetzung zwischen Christentum und Islam die nächsten 30 Jahre bestimmt", erklärte der Oberst im Vortragssaal der Achumer Heeresfliegerwaffenschule, wo er jetzt auf Einladung der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik (GfW) referierte. Seine Begründung: "Die islamischen Systeme haben ihren Menschen nichts zu bieten. Sie werden zusammenbrechen."

Kriege zwischen Staaten, so prognostiziert Kaestner, würden in Zukunft eher abnehmen. "Für moderne Gesellschaften lohnen sie sich allein aus ökonomischen Gründen nicht." Dennoch droht Gefahr - und zwar von so genannten "nicht staatlichen Akteuren des kleinen Krieges" wie Terroristen, der Drogenmafia oder privaten Sicherheitsunternehmen. Für dieseLeute werde Krieg zum Lebensraum, sie müssten daher ständig kontrolliert werden. "Wer sagt denn, dass Bin Laden nicht irgendwann ein Sicherheits-Unternehmen kauft?", fragte der Referent. Denn: "Bin Laden ist ein sehr reicher Mann."

Eines der größten Probleme moderner Gesellschaften: sie sind verwundbar. Kernkraftwerke, chemische Fabriken, biologische Einrichtungen, die Viren verstreuen, wenn sie getroffen werden - solche Potenziale könnten von einzelnen Menschen freigesetzt werden, wie Kaestner befürchtet: "Gruppen mit entsprechendemWissen können einem Staat heute Schäden zufügen wie in früheren Zeiten eine ganze Armee."

Konfliktpotenziale sieht der Mann aus der "Denkfabrik" vor allem im Nahen und Mittleren Osten, in Asien und Teilen der früheren Sowjetunion. Weil zurzeit 65 Prozent des Öls für Autos verbraucht würde, fordert er: "Wir brauchen ein Auto ohne Benzinmotor. Sonst werden wir in Krisengebieten nicht intervenieren können, wenn uns der Ölhahn zugedreht wird." Zugleich verlangt Kaestner die "Abkehr von der Massenarmee".Statt dessen schlägt er eine Mischform aus militärischen Spezialisten und verfügbaren Bürgern mit High-Tech-Wissen vor. "Wir brauchen ein neues Sicherheitsdenken, wonach jeder Bürger für Sicherheit mitverantwortlich ist", stimmte GfW-Sektionsleiter Klaus Suchland zu.

Europa, so rechnete Oberst Kaestner vor, habe 1,5 Millionen Soldaten unter Waffen. "Aber wenn irgendwo Konflikte sind, bringen wir immer nur 10.000 Mann auf die Beine. Wofür ist der Rest?"


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