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Lippische Landes-Zeitung , 28.02.2005 :

Anlass zu großer Sorge / Arbeitslosigkeit und Rechtsradikalismus

Ich gehöre zu der aussterbenden Generation, die noch die Weimarer Republik und das Dritte Reich erlebt hat. Welche verkehrte Darstellung, wenn der Generalsekretär der SPD lauthals verkündet, dass das Dilemma der über fünf Millionen Arbeitslosen nichts mit der Zunahme des Rechtsradikalismus zu tun habe.

Seit Wochen verfolge ich mit größter Sorge die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt und erinnere mich zwangsläufig an die Jahre 1930 bis 1933. Auf Grund der hohen Arbeitslosigkeit und der damit verbundenen großen Not, dem Elend in Millionen Familien, kam es damals zu unendlich vielen Untaten, Einbrüchen und einer Zunahme des Radikalismus rechts und links. Ich bin Stadtrandberlinerin und erlebte als Schülerin die Entwicklung sehr genau. Auf der Heimfahrt mit der Straßenbahn vom Schülertheater wurden wir häufig durch Straßenkämpfe zwischen Rot und Braun und berittener Polizei dazwischen am Weddingplatz aufgehalten. Fast alle Menschen ersehnten damals nur eine Änderung dieser Zustände und bei der Wahl 1933 kam es zu dem Sieg Hitlers.

Noch einmal rückblickend auf die zwanziger Jahre: Wenn diese von vielen Menschen immer als die "Goldenen" bezeichnet werden, sträuben sich mir bei meinen Erinnerungen die Haare. Golden waren sie allenfalls für die Kriegsgewinnler und die großen Kaufhausbesitzer, die ihre Wohnsitze im feudalen Berliner Westen bis hin zum Grunewald hatten. Als ich Kleinkind war, gab es die so genannten Spartakuskämpfe. 1923 holten die Familienmütter ihre Männer vom Arbeitsplatz ab, um schnellstens Lebensmittel einzukaufen, weil die von Tag zu Tag enorm steigenden Preise die nackte Existenz der Familien bedrohten (Inflation). Und danach stiegen die Arbeitslosenzahlen und das damit verbundene Elend. Ich begleitete damals zuweilen eine Tante morgens um 4.30 Uhr zur Markthalle und konnte beobachten, wie arbeitslose Familienväter vom Straßenpflaster Gemüse und angestoßenes Obst aufklaubten, das die Großhändler fortgeworfen hatten.

Resümee: Jeder Deutsche, der über einigermaßen normalen Menschenverstand verfügt, muss erkennen: Das Hauptübel unserer Misere ist einerseits die riesige Arbeitslosigkeit und außerdem die Verschwendung der Gelder durch die Regierung. Gerade dieser Tage wird bekannt, dass wiederum ein viele Millionen teures Prestigeobjekt geplant ist. Das Bundeskriminalamt soll nach Berlin verlegt werden, obgleich es in Hessen durchaus auskömmlich untergebracht ist. Mit dem millionenschweren Bau wären dann auch alle Umzugskosten oder Trennungsentschädigungen der Beamten verbunden.

Ruth Schiffner-Kahlenberg
Brinkstraße 25
Blomberg


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