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Der Patriot - Lippstädter Zeitung , 26.02.2005 :

Solo gegen Nazi-Terror / "Theaterunikate" gastiert auf der Studiobühne mit dem Stück "Vater hat Lager" / Schauspielerin Gilla Cremer beeindruckt durch ihr facettenreiches Spiel

Lippstadt. Schon die erste Szene des Hamburger Gastspiels der Gruppe "theaterunikate" ist gewaltig: Da hastet Gilla Cremer durch den Zuschauereingang mit einem schweren Metallkoffer auf die Studiobühne, hält kurz inne, dreht sich um und stürzt gleich wieder hinaus. Soll es das gewesen sein? Nein, ganz sicher nicht, denn was in den folgenden 90 Minuten unter Michael Heicks Regie passiert, ist ein intensives Kammerspiel, ein Familiendrama mit besonderem Gewicht.

"Vater hat Lager" nannte Autor Carl Friedman sein verstörendes Ein-Personen-Stück. Und "Ich habe Lager gehabt" ist einer der ersten Sätze, die in dem Drama fallen. Das hört sich dann so an wie eine harmlose Kinderkrankheit, zum Beispiel wie Windpocken.

Die Geschichte, die das Stück erzählt, ist eine Familiengeschichte: Eine Frau blickt auf das Leben ihrer Angehörigen zurück. Im Mittelpunkt des Geschehens steht der Vater, der während des Zweiten Weltkrieges im Konzentrationslager war und der nach seiner Befreiung nicht mit seinem Leben klar kommt. Er hat Alpträume, durchlebt die Schrecken des Konzentrationslagers jeden Tag aufs Neue wieder. Das bekommt auch die Familie zu spüren. "Vater hat Lager" nennen sie diesen Ausnahmezustand, der ihr Leben zur Hölle macht.

Kurzum, das Drama "Vater hat Lager" ist eine Leidensgeschichte, die die Hamburger Schauspielerin Gilla Cremer mit viel Feingefühl und Gespür für die passenden Zwischentöne spielt. Dafür braucht sie keine effektheischenden Auftritte. Auch verzichtet sie auf Pathos. Fast unbeschwert fängt Cremer an zu erzählen und steigert sich dann Stück für Stück in die Szenen hinein. Mal ist sie das kleine Kind, das seine Spielsachen im Garten verbuddelt weil sie glaubt, dass die SS kommt und ihr die Spielsachen weg nimmt. Ein anderes Mal schlüpft sie in die Rolle ihres Vaters, ihrer Mutter oder ihres Bruders Simon. Jedem verleiht sie eine eigene Stimme. Es ist ein Plaudern, aber eines, das wie ein gewaltiger Befreiungsschlag wirkt.

Sparsam geht Cremer mit ihren Gesten und ihrer Mimik um. Nur unterschwellig sieht man, dass es in ihr rumort: beispielsweise wenn sie ketterauchend nervös mit dem Aschenbecher spielt, oder wenn sie mit abgemessenen Schritten im Kreis läuft, als sie vom Lagerleben ihres Vaters erzählt. Auch Leonard Cohens Lied "Everybody knows" lässt Cremers Emotionen hoch kochen: da entlädt sie ihre Wut gegen den Nazi-Terror in einem wilden Tanz. Sie fuchtelt mit ihren Armen in der Luft herum, als schlage sie mit aller Kraft gegen einen Sandsack.

Regisseur Michael Heicks ist mit dem Stück "Vater hat Lager" ein eindrucksvolles Kammerspiel gelungen, das mit einem Minimum an Requisiten auskommt (einem Stuhl und einem Koffer). Und Schauspielerin Gilla Cremer fesselt durch ihr Spiel.

26./27.02.2005
Redaktion@DerPatriot.de

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