Warburger Zeitung / Neue Westfälische ,
22.02.2005 :
Luftangriff auf Ossendorf / Der 22. Februar 1945: "Als fünf Tiefflieger auf Ossendorf zu stießen und beschossen"
Von Sandra Wamers
Ossendorf. Von der im Jahre 1804 begonnenen und heute gut 250 Seiten starken Ossendorfer Gemeindechronik werden auf etwa 30 Seiten die Wirren des Zweiten Weltkriegs beschrieben. So auch der Tag des 22. Februars 1945, von dem es in der Chronik heißt: "Bange und aufregende Stunden haben die Ossendorfer erlebt."
In den ersten drei Monaten des letzten Kriegsjahres lag Ossendorf unter schweren Tieffliegerbeschuss - "Tag und Nacht", "in aller nächster Nähe", "nichts wie Alarm", hatte der Chronist in Sütterlinhandschrift seine Eindrücke und Ängste versucht darzulegen, aber "welche unruhige nervenanstrengende Zeit dieses war, kann nur empfinden, der diese Zeiten miterlebt hat".
Seit 1996 dokumentiert Erwin Dübbert die bewegenden Momente in der Geschichte seines Heimatdorfes Ossendorf. Sein Vorgänger aus den Kriegsjahren hatte keine Signatur hinterlassen, jedoch vermutet Dübert, dass Josef Nolte die Chronik fortgeführt hatte.
"Denn Nolte war seinerzeit Bürgermeister von Ossendorf, und oftmals waren es der Pastor oder der Bürgermeister, die sich der Dorfchronik angenommen haben", erklärt Dübbert und streicht über eine Namensliste und verweilt bei dem Eintrag: "Bauer - Nolte, Josef. Bürgermeister bis 1945".
Dübbert hatte eine Abschrift der alten Gemeindechronik in Auftrag gegeben, so dass nun die Kriegsberichte aus dem Jahr 1945 zweieinhalb akkurat und eng bedruckte Din-A4-Seiten füllen.
Trotz des anonymen Maschinendrucks bleiben die seelischen Erschütterung des Verfassers offenkundig - er beschränkt sich auf das, was das Leben der Ossendorfer bestimmte: auf den Krieg und seine Auswirkungen, von denen er "das Schlimmste hervorhebt, was Ossendorf selbst betraf."
Das Zeitzeugnis beginnt auf den Tag genau vor 60 Jahren, am 22. Februar 1945.
Im Nachbarort Scherfede lag der Bahnhof unter schweren Bombardement. "Die meisten Leute saßen in den Kellern", berichtet der Chronist über die Zustände in seinem Heimatort, "als gegen 14.30 Uhr fünf Tiefflieger auf Ossendorf zu stießen und beschossen".
Erwin Dübbert vermutet, dass die Flugzeuge durch die Flakabwehr abgedrängt wurden und deshalb über Ossendorf gekommen seien.
Sieben Häuser waren durch die Tiefflieger getroffen und brannten - und die Feuerwehr konnte nur begrenzt helfen. Eine fremde Wehr war nicht zu erreichen, denn die Telefonleitungen waren tot.
Jedoch traten die materiellen Schäden vor den tragischen Todesfällen einer 70-jährigen Frau und ihres siebenjährigen Enkelkindes in den Hintergrund, die durch Geschosse getötet wurden, die durch das Stalldach gedrungen waren. "Dieses Unglück hat sich bei den Ossendorfern tief ins Gedächtnis gegraben", berichtet Dübbert, dem sein Großvater viel aus den Kriegstagen erzählt und dessen eigenes Elternhaus ebenfalls gebrannt hatte.
Nach dem Luftangriff machte sich der Ossendorfer Bernhard Volmert mit seinem Auto nach Warburg auf, um erste Hilfe zu holen, welche jedoch erst nach eineinhalb Stunden eintraf.
Auf 22 Zeilen hat der Chronist den Tieffliegerangriff beschrieben - für manchen mag dieses heute nicht allzuviel viel erscheinen, jedoch bezeugen die weiteren Niederschriften, unter welch' widrigen Umständen der Zeitzeuge damals die Feder geführt hat.
Denn auch die Ossendorfer merkten, dass "für uns der Krieg nicht mehr zu gewinnen war", und "allerlei Gerüchte vom Anrücken der Feindmächte konnte man hören - alles war in Angst und Sorge".
Nach dem Tieffliegerangriff konnten alle Häuser "innerhalb von fünf Wochen wieder gedeckt und bezugsfähig gemacht werden", blickt der Schreiber stolz auf die Leistung "von jung und alt, Frauen und Kindern, Evakuierten und Kriegsgefangenen" zurück, so dass "fast alles Mobiliar, Wäsche, alles Vieh gerettet wurde".
Aber bis Kriegsende sollte Ossendorf von der Kriegsmaschine nicht versehrt bleiben.
Die Sorgen blieben, und dunkle Vorahnungen ließen die Bürger Vorkehrungen treffen, so dass "viele Einwohner Fleisch und Wertsachen in der Erde vergruben, andere mauerten es im Keller ein", beobachtete der Geschichtsschreiber, und "die meisten hatten das Notwendigste gepackt und wollten in die Wälder fliehen, ein kleiner Teil war beherzt und ließ alles an sich herankommen".
Insgesamt 65 Menschen seien während des Zweiten Weltkriegs in Ossendorf gefallen, hat Erwin Dübbert gezählt.
Und mit einem Blick auf die damaligen Umständen zollt der heutige Dorfchronist seinem Vorgänger vor 60 Jahren Respekt: "Mich wundert es, dass überhaupt soviel aufgeschrieben wurde."
lok-red.warburg@neue-westfaelische.de
|