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Deister- und Weserzeitung , 21.02.2005 :

"Muslime müssen das selbst regeln" / Frauen und die Scharia / Interview mit Islam-Kennerin / Vortrag im Forum

Hameln. Das Gezerre um die Abschiebung der Iranerin Zahra Kameli, der in ihrer Heimat Verfolgung oder gar Steinigung droht, hat die Diskussion um die Scharia neu entfacht. Prof. Dr. Ursula Spuler-Stegemann, Hochschullehrerin für Islamwissenschaft, Religionsgeschichte und Türkisch an der Universität Marburg, referiert am morgigen Dienstag um 20 Uhr in der Pfortmühle über das Thema "Frauen und die Scharia". Redakteurin Christa Koch sprach vorab mit ihr.

Frau Spuler-Stegemann, Scharia - was ist das?

Die Scharia ist das islamische Recht, aber kein Gesetzbuch. Sie regelt sowohl des Verhältnis zwischen den Menschen und Gott als auch das Verhältnis der Menschen untereinander. Demnach sind einerseits die so genannten fünf Säulen des Islam (Glaubensbekenntnis, rituelles Gebet, Fasten im Ramadan, Sozialabgabe und Pilgerfahrt) Teil der Scharia; andererseits rechtliche Fragen (Strafrecht, Familienrecht, Erbrecht, Prozessrecht), aber auch Verträge. Als drittes legt die Scharia auch persönliche Verhaltensweisen bis in alle Details fest. Die Scharia ist deshalb die Norm, die für einen Muslim immer und überall die über allem stehende Norm ist.

In welchen Ländern ist die Scharia die wesentliche beziehungsweise einzige Rechtsgrundlage?

Im Iran, in Saudi-Arabien. Wichtig sind auch Pakistan oder der Sudan.

Welches Menschenbild verbirgt sich hinter der Scharia?

Der Mensch ist im Islam der Diener, ja, der Knecht Gottes, dessen Willen er sich unterwirft. Dabei steht der Mann (an Verantwortung oder Kraft) über der Frau, die religiös gleichwertig ist, aber nicht gleichberechtigt mit dem Mann sein kann.

Wird die Scharia durch eine eindeutige Koran exegese legitimiert oder gibt es andere Grundlagen?

Die Scharia basiert auf dem Koran und der Tradition (Sunna), gegebenenfalls auch den Rechtsschulen. Sie wird flexibel und anpassungsfähig durch Fatwas, die religiösen Gutachten, zu einzelnen Fragen von Regierungen, Institutionen oder Einzelpersonen an Experten als Mittel, sich dem Willen Gottes möglichst anzunähern, damit alles Handeln islamgemäß ist. Selbst der Koran ist im Übrigen sehr weit auslegbar, zum Beispiel als Beleg für Monogamie und Polygamie.

Ist die Befolgung der Scharia mit unserem Grundgesetz beziehungsweise mit unserem Verständnis der Menschenrechte vereinbar?

Hier gibt es gravierende Probleme, insbesondere die Stellung der Frau, die Religionsfreiheit, die eine Einbahnstraße zum Islam bleiben muss, niemals aber vom Islam wegführen darf, oder der Umgang mit anderen religiösen Minderheiten.

Wie ist das Verhältnis islamischer Gemeinden in Deutschland zur Scharia?

Die Aleviten (AABF) lehnen die Scharia ab; DITIB als verlängerter Arm des türkischen Staates müsste dies auch tun.

Was kann die weitgehend nicht-islamische Gesellschaft tun, um die Gleichberechtigung muslimischer Frauen in der Praxis zu fördern?

Das müssen die Muslime schon selbst regeln. Aber jeder von uns kann da, wo er Missstände sieht, helfend eingreifen, falls diese Unterstützung erwünscht beziehungsweise notwendig ist. Wichtig ist auf jeden Fall, dass man (gemeint sind damit Staat, Arbeitgeber, Justiz etc.) sich nicht auf angebliche oder tatsächliche kulturelle Unterschiede einlässt, sondern klar nach hierzulande geltenden Maßgaben entscheidet oder dementsprechend vorgeht. Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, wenn Baden-Württemberg die Zwangsehe als Straftatbestand bezeichnet.

Gibt es so etwas wie Frauenemanzipation unter gläubigen Musliminnen?

Es gibt durchaus selbstbewusste, bis zu einem hohen Grad emanzipierte gläubige Frauen; dennoch sind sie im allerletzten Schritt den Männern untergeben.


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