Paderborner Kreiszeitung / Neue Westfälische ,
21.02.2005 :
"Es wurde nur geschrien" / Zeitzeugen erinnern sich an den Bombenkrieg in Paderborn
Paderborn (JS). 60 Jahre scheinen eine langer Zeitraum zu sein. Dennoch ist der Bombenkrieg, der an der Pader am 27. März 1945 mit der Zerstörung der Altstadt seinen entsetzlichen Höhepunkt fand, bei vielen älteren Paderbornern noch heute ungeheuer gegenwärtig. Gut 50 Bürgerinnen und Bürger nutzten gestern die Gelegenheit, um sich im Museum für Stadtgeschichte im Adam-und-Eva-Haus auszutauschen.
"Es regnet Feuer vom Himmel ... ", hatte Dr. Antje Telgenbüscher, die seit zehn Jahren Erinnerungen von Zeitzeugen sammelt, einen Leitfaden für die gestrige Gedenkveranstaltung vorgegeben, der Dämme brechen ließ. Die Keller, die letztlich keine Sicherheit vor den Bomben boten, die permanente Angst während der letzten, von Fliegerangriffen geprägten Kriegsmonate, die unbegreiflichen Zufälle, die über Leben und Tod entschieden - während der Erzählungen so mancher älteren Dame und so manchen älteren Herrn meint man einen Kloß im Hals und auch erstickte Tränen zu hören.
"Wir hatten 13 Tote im Haus", berichtet ein Paderborner aus der Winfriedstraße von nur einem Angriff des Jahres 1945, und die Zuhörer erinnern sich, dass es für die Bevölkerung keinen sicheren Bunker in der Paderstadt gab. "Geschützt wurde nur, was kriegswichtig war", stellen sie fest. Und so nahmen die Menschen Zuflucht in "normale" Keller zwischenEingemachtem und Kohlen. In Eisstollen oder Brauereikellern, wie zum Beispiel unter dem späteren Capitol-Kino, "da saßen auch immer viele", berichten die Frauen und Männer. Die in den Kellern erlebten qualvolle Minuten und Stunden sind für viel unvergessen. "Es wurde nicht leise gebetet", lässt eine Paderbornerin den Angriff vom 22. März 1945 Revue passieren. "Es wurde nur geschrien."
"Fast jeder musste das für sich allein abmachen"
"Sollte so etwas heute noch mal passieren, dann kriegt mich keiner mehr in einen Keller rein", konstatiert ein älterer Herr und hat auch gleich ein ergreifendes Beispiel von grausamer Angst parat. Weiß er doch von einer Frau zu berichten, die sich einmal beim Ertönen der Sirenen voller Angst ihren Kinderwagen schnappte und in den benachbarten Keller floh, ihr Kind jedoch voller Panik im Haus vergessen hatte.
Beim bloßen Erinnern können die Männer und Frauen jedoch an diesem Sonntagmorgen, 60 Jahre danach, nicht stehen bleiben. Warum nur erinnert man sich jetzt so intensiv an den Bombenkrieg, fragt sich ein Paderborner. Und ein Zuhörer ergänzt, hörbar ergriffen, dass er erstmals in den 70er-Jahren über seine Erlebnisse im Bombenhagel sprechen konnte und damals dabei von einem Weinkrampf geschüttelt wurde. Das Thema sei durchaus mit einem Tabu belastet gewesen - angesichts von Auschwitz und der Kriegsschuld. Und an Gelegenheiten sich zu erinnern, hat es wohl gleichfalls lange gemangelt. Wenn heutzutage Katastrophen passierten, so kämen psychologische Hilfsdienste zum Einsatz, meint eine Frau nachdenklich. Nach dem Krieg sei man davon weit entfernt gewesen. "Fast jeder musste das für sich allein abmachen", stellt sie fest. "Es war kein Klima dafür ."
"Zeitzeugen sind kostbar und ihre Erinnerung auch", resümiert Antje Telgenbüscher. Denn die Erinnerung an die Opfer des Bombenkriegs hat für die Paderborner Forscherin eine überaus wichtige Funktion. "Es geht nicht um das Aufrechnen von Schuld", betont sie. Und schon gar nicht möchte sie die Ursachen des Krieges ausgeblendet wissen. Man dürfe nicht vergessen, wer der Auslöser war, und auch die unzähligen Opfer des nationalsozialistischen Rassismus dürften nicht verdrängt werden. Man "muss die historische Wahrheit in den Blick nehmen", benennt Antje Telgenbüscher die wichtigste Zielsetzung der Erinnerung an die Bombenopfer. Denn "sonst ist kein Frieden möglich."
Ähnlich sieht dies auch Bürgermeister Heinz Paus. Der Bombenkrieg dürfe "nie wieder in Vergessenheit geraten", betont er, ruft aber auch den 9. November 1938, den 1. September 1939 oder den 30. Januar 1933 mahnend ins Gedächtnis. Ohne diese Daten und Ereignisse "hätte es die Zerstörung der Stadt nicht gegeben." Und so forderte er ebenso wie Antje Telgenbüscher die Zeitzeugen auf, ihre Erlebnisse und Erinnerungen aufzuschreiben. Nicht zuletzt übrigens für die nachfolgenden Generationen. "Es muss in die Köpfe der Kinder und Jugendlichen", mahnt Paus.
lok-red.paderborn@neue-westfaelische.de
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