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Tageblatt für Enger und Spenge / Neue Westfälische , 15.01.2005 :

Auf den Spuren jüdischer Geschichte / Die Klasse 7b der Realschule Enger suchte Orte jüdischer Vergangenheit und Gegenwart auf

Enger (Kex). Mit großem Interesse und vielen Fragen begab sich die Klasse 7b der Realschule Enger jetzt auf eine Zeitreise in die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Enger und Umgebung. Gemeinsam mit Klassenlehrerin Marita Schwarma und Religionslehrer Tobias Kunze lernten die Schüler und Schülerinnen mehr über die jüdische Vergangenheit vor Ort kennen.

Die jungen Schüler und Schülerinnen schauten sich in ihrem Klassenzimmer zunächst ein Modellbau der ehemaligen Engeraner Synagoge an, das Tobias Kunze aus dem Fundus des Engeraner Rathauses ausgeliehen hatte. Das Gebäude war 1812 erbaut worden und später wegen Baufälligkeit abgerissen worden, das Grundstück wurde 1927 verkauft. Der Engeraner Künstler Eberhard Hellinge rekonstruierte die Synagoge anhand eines Katasterplans, einer Bauzeichnung des Westteils und zweier alter Fotografien.

Eine Synagoge hatten sich die Schüler allerdings anders vorgestellt. Die Versammlungsstätte der Engeraner Juden war ein schlichter Fachwerkbau mit Krüppelwalmdach. Dazu lag das Gebäude sehr versteckt zwischen der Bünder Straße und der dazu im Winkel verlaufenden Bahnhofstraße, hinter dem heutigen Geschäft Althoff, der Bäckerei Strack und dem Hotel "Herzog Wittekind". Die Frage, die sich die Schüler sofort stellten: Warum lag die Synagoge so versteckt? Bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts, so erfuhren sie, durften Synagogen nicht unmittelbar an der Straße gebaut werden. Die jüdische Gemeinde war so versteckt sicherer vor anti-jüdischen Ausschreitungen.

Anschließend besuchten die Realschüler den 1.331 Quadratmeter großen ehemaligen jüdischen Friedhof an der Ziegelstraße in Enger. "Der gute Ort", wie die Juden diese Stätte nennen, hat eine Besonderheit. Während die Gräber eines jüdischen Friedhofs häufig nach Osten oder Süden ausgerichtet sind, zeigen die Gräber in Enger zum Friedhofsausgang in Richtung Norden. Beim genaueren Hinsehen fanden die Schüler einen Grabstein mit der Jahreszahl 1826, ein anderer wies die Jahreszahl 1839 auf. Es soll, so erfuhren sie, noch weitere Gräber ohne Grabsteine auf dem Friedhof geben.

Mit dem Bus ging es schließlich weiter nach Hücker-Aschen an den Franziska-Spiegel-Weg. An einem abgelegenen Ort am Waldrand besichtigten die Schüler einen Gedenkstein, der an die von den Nationalsozialisten verfolgte und ermordete Engeranerin erinnert. Die Schüler hatten sich gut vorbereitet und wussten über die Hintergründe dieses Gedenksteins genauestens Bescheid. Am 4. November 1944 holten zwei SS-Männer Franziska Spiegel aus ihrem Versteck in Werfen und erschossen sie im nahe gelegenen Hücker-Holz.

Hier erinnert der Gedenkstein an die Frau und an die schreckliche Tat, die bis heute ungesühnt blieb. "Auch die Straße, die an diesem Waldstück entlangführt, ist heute nach Franziska Spiegel benannt," erzählte Tobias Kunze den Schülern, die nachdenklich den Stein betrachteten. Thomas Weigel aus der 7b las anschließend einige Passagen aus einem Buch über Franziska Spiegel von Stefan Brams vor, der versucht hat, die Geschichte dieser Engeraner Jüdin zu rekonstruieren.

Die letzte Station führte die Schüler nach Herford, wo ein Besuch in der Synagoge auf sie wartete. Gespannt schauten die Schüler sich das rote Backsteingebäude zunächst von außen an und konnten ihre Neugierde, auf das, was sie drinnen erwarten würde, kaum noch verbergen. Doch vor dem Betreten der Synagoge setzten sich alle Jungen der Klasse eine Mütze oder ihre Kapuzen auf und zeigten somit Respekt der jüdischen Gemeinde gegenüber.

In der Synagoge nahmen die Schüler auf den Bänken Platz und lauschten interessiert den Worten von Harry Rothe, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Detmold-Herford. Er gab der Klasse 7b einen Einblick in den jüdischen Glauben und berichtete von den Festen, dem ewigen Licht, welches an die jüdischen Opfer in den Jahren 1933 bis 1945 erinnern soll, bis hin zur Bedeutung der Synagoge. Besonderes Interesse schienen die Schüler an den Kultgegenständen zu finden, die in der Synagoge standen, da sie Harry Rothe mit Fragen dazu überhäuften. Für den krönenden Abschluss des Tages sorgte Harry Rothe schließlich, als er den Schülern zeigte, wo die Thorarollen aufbewahrt werden. "Aber die Thorarollen herausholen darf ich nicht," erklärte er.

Abschließend durften die Schüler die restliche Zeit des Vormittags in der Innenstadt von Herford genießen, bevor sich die Klasse mit ihren Lehrern wieder auf den Rückweg nach Enger machte.

15./16.01.2005
lok-red.enger@neue-westfaelische.de

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